Die Wahrheit des Blutes
Nitril-Handschuhe.
Passan zog die Waffe aus dem Gürtel und lud. Guillard führte ihn offenbar zum nächsten Tatort.
Er fand eine angelehnte Gittertür, die in ein verwirrendes Röhrensystem führte, das ihn an riesenhafte Wurzeln denken ließ. Er irrte zwischen den Leitungen hindurch. Ein scharfer Gestank reizte seine Schleimhäute. Er zog seine Kapuzenmaske über das Gesicht und lief weiter. Schließlich entdeckte er Stufen am Fuß eines Silos. Er griff nach dem Handlauf und hastete hinauf. Seine Schritte ließen die Stufen im Takt mit dem Herzen der Maschine erzittern. Nachdem er den Zylinder einmal umrundet hatte, wusste er noch immer nicht, ob er sich auf der richtigen Treppe befand.
Wie eine Antwort auf seine Unsicherheit tauchte Guillard plötzlich zwei Etagen über ihm auf. Passan rannte weiter. Er erstickte fast unter der Wolle seiner Kapuze.
Nach der nächsten Runde schaute er wieder nach oben, sah aber zunächst niemanden. Erst auf den zweiten Blick entdeckte er Guillard, der über einen Metallsteg lief. Wieder eine Runde. Außer Atem und mit brennender Lunge erreichte er ebenfalls den Laufgang.
Er rollte seine Kapuzenmaske hoch, um wenigstens einmal durchzuatmen. Aber das machte alles nur noch schlimmer. Die Luft war das reinste Gift. Rasch zog er den Strickstoff wieder über das Gesicht.
Auf dem nächsten Laufsteg stand Guillard.
Kahlköpfig, im Maokragen, bedeckt mit weißem Staub.
Er schien auf Passan zu warten.
Unwillkürlich hob Passan seine Waffe. Doch die Erscheinung war schon wieder verschwunden. Passan sprang auf den nächsten Steg, an dessen Ende es mehrere Möglichkeiten gab. Er wandte sich nach rechts, schlängelte sich zwischen einem Wald aus Rohren hindurch und kletterte über Leitungen mit großen Handrädern, die wie die Steuer eines Schiffes aussahen.
Eine halb geöffnete Tür. Die Wand reflektierte zuckende Flammen.
»Nein«, stöhnte Passan. »NEIN!«
Kam er zu spät? Hatte Guillard das nächste Opfer schon getötet? Er stieß die Tür auf und blieb überrascht stehen.
In einer von Rohren durchzogenen Halle saß Guillard völlig nackt und bewegungslos im Schneidersitz in einer Benzinpfütze. Er brannte lichterloh. Sein Schädel war von einem flammenden Heiligenschein umgeben. Seine Haut glühte rot und schwarz, warf Blasen und zerplatzte. Passan musste an das berühmte Bild des Bonzen denken, der sich 1963 in Saigon geopfert hatte.
Er steckte die Waffe ein und rannte auf das Feuer zu. Verzweifelt suchte er nach etwas zum Löschen. Hastig zog er seine Jacke aus und schlug mit aller Macht auf den brennenden Körper ein. Die Rauchentwicklung wurde stärker, doch die Flammen ließen nach. Ohne auf den Schmerz zu achten, zerrte er den Mörder aus der Glut. Doch Guillard brannte weiter.
Wie von Sinnen schlug Passan mit seiner Jacke auf Guillard ein, bis es ihm irgendwann gelang, das Feuer einigermaßen zu löschen. Er fiel auf die Knie. Versuchte es mit einer Herzmassage. Er verbrannte sich jedoch nur die Finger an dem rauchenden Körper. Wieder griff er nach der Weste, wickelte sie sich um die Hände und probierte es erneut.
Ohne nachzudenken, trommelte er mit beiden Händen auf Guillards Brustbein ein. Der Mann sollte leben! Musste leben! Plötzlich setzte sich der Geburtshelfer auf und griff nach Passans Hals, als wolle er ihn umarmen. Und dann hustete er. Feuer schoss aus seinem Mund. Ein weißer Schleier explodierte vor Passans Augen. Sein Gesicht brannte.
Er konnte nicht einmal mehr schreien. Ihm war, als tauche er in einen See aus glühender Lava. Blendende Blasen fraßen sich in seinen Kopf. Der Schmerz war unerträglich wie ein riesiges Gebiss, das sein Gesicht zermalmte.
Mit dem letzten Aufflackern seines Bewusstseins wurde ihm klar, dass Guillard Benzin im Mund behalten und es wie ein Feuerspucker auf seinen Feind gespien hatte.
Die Falle des Mannes, der auch eine Frau war.
Ein Feuerkuss.
55
»Wie konntest du mir das nur antun?«, schrie Naoko.
Passan verstand sie kaum. Mit der Wut verstärkte sich ihr Akzent. Aber sicher lag es auch an den Morphinen, die man ihm gespritzt hatte, und an den Bandagen, die um seinen Kopf gewickelt waren. Doch er war immer noch bei Bewusstsein und konnte sehen, wie sie vor seinem Metallbett hin- und herlief.
Falls er auf Mitleid gehofft hatte, so sah er sich jetzt eines Besseren belehrt.
»Immer hast du mich nur angelogen! Wolltest mich wohl für blöd verkaufen!«
Er bewegte sich nicht. Sein Gesicht war mit einem
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