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Die Wahrheit des Blutes

Die Wahrheit des Blutes

Titel: Die Wahrheit des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Keiner der Computer war frei. Sie trat zu einem schlaksigen Jungen, der sich auf Facebook angemeldet hatte.
    Höflich fragte sie ihn, ob sie kurz seinen Computer benutzen dürfe. Der Junge schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, in dem man schon den Mann erkennen konnte, der er eines Tages sein würde. Naoko musste daran denken, dass auch Shinji und Hiroki eines Tages Jugendliche sein würden, ebenso sorglos und unwiderstehlich.
    Als Erstes loggte sie sich auf einer Seite ein, auf der sie japanische Schriftzeichen benutzen konnte. Der Jugendliche – er maß mindestens einen Meter fünfundneunzig – blieb neben ihr stehen.
    »Ist das Japanisch?«, fragte er erstaunt, als handele es sich um die Elbensprache aus Der Herr der Ringe .
    Sie nickte, bereute aber bereits, sich auf das Gespräch eingelassen zu haben. Sobald Passan im Krankenhaus nach ihr forschte, würde er auf diesen Teenager stoßen, der sich sicher an sie erinnerte. Anschließend müsste er nur noch die Festplatten überprüfen.
    Sie meldete sich bei Facebook an und tippte einen fast vergessenen Namen ein. Das Foto einer Frau erschien. Sie schien gleichzeitig zu lächeln und zu schmollen. Nein, sie hatte sich nicht verändert. Mit ein paar Klicks stellte Naoko fest, dass sie trotz allem auf Facebook noch mit dieser Frau befreundet war. Plötzlich schob sich das freundliche Gesicht vor ihrem inneren Auge über das blutbespritzte Gesicht des Vortags. Naoko erbebte.
    Sie rief die Nachrichten ab und fand ein einziges Wort. Eines nur.
    »Alles okay?«, fragte der Jugendliche beunruhigt.
    »Klar. Warum?«
    »Sie sind ganz blass.«
    »Mit mir ist alles in Ordnung«, lächelte sie ihn an. »Darf ich den Computer noch ein paar Minuten benutzen?«
    Der Junge gestikulierte mit seinen langgliedrigen Fingern.
    »Wissen Sie, wir haben hier alle Zeit der Welt.«
    Naoko traute sich nicht zu fragen, weswegen er hier behandelt wurde. Sie ging auf die Website von Japan Airlines, entschied sich aber vorsichtshalber für die japanische Version.
    Dort buchte sie einen Flug für den nächsten Tag um 11.40 Uhr, tippte die Namen der Passagiere und ihre Kreditkartennummer ein. Nicht die ihrer Visa-Card, sondern die ihrer geheimen American Express, die sie für den Fall einer überstürzten Abreise immer behalten hatte. Im Grunde hatte sie hier ständig wie eine Kriminelle gelebt – jederzeit bereit, auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.
    Die Reservierungen wurden sofort bestätigt. Wieder schob sich ein Bild über die Ziffern und Daten: die mit Sandrines Blut geschriebenen Schriftzeichen.
    Naoko war die Einzige, die den Sinn der Botschaft verstand.
    Und nur sie allein konnte darauf antworten.

70
    Passan und seine Söhne betraten die Lobby des Hotels Pullman um halb acht abends. Ihre Leibwache setzte sich aus Fifi, Jaffré und Lestrade zusammen – drei bewaffneten Polizisten, die sich ihre Sporen als Babysitter verdienten und dafür ihre Freizeit opferten.
    Wieder musste Passan an den Albaner denken, den er vor Jahren hier versteckt hatte. Ganz abwegig war der Vergleich nicht. Sie befanden sich in exakt der gleichen Situation. Schutzlose Menschen, die einer großen Gefahr ausgesetzt waren. Schon oft waren ihm ähnlich gelagerte Fälle begegnet: Zeugen, Opfer, unschuldige Verdächtige. Ganz normale Leute, denen das Schicksal übel mitspielte. Und nun gehörte er selbst dazu.
    Fifi kümmerte sich um das Einchecken, Jaffré und Lestrade trugen das Gepäck ins Zimmer. Sie hatten eine Junior-Suite genommen, um als Gruppe zusammenbleiben zu können. Der stellvertretende Staatsanwalt hatte die Kostenübernahme unterzeichnet. Selbst außergewöhnliche Auslagen würden vom Staat bezahlt. Fast wie im Zeugenschutzprogramm.
    Shinji und Hiroki erkundeten ihre neue Bleibe und freuten sich wie die Schneekönige. Zwar hatte Passan ihnen zu erklären versucht, dass ihre Mama krank war, aber das hatte die beiden kaum gestört. Schon früher war ihm dieses Verhalten aufgefallen: Solange ein Elternteil bei ihnen war, zeigten die Kinder keine Anzeichen von Unruhe. Jetzt war eben er an der Reihe und galt trotz seines verbrannten Gesichts als zuverlässige Vertrauensperson.
    Während die beiden anderen Polizisten im Aufenthaltsbereich ihr Lager für die Nacht aufschlugen, verband Fifi die Spielkonsole mit dem Fernseher. Passan verzog sich ins Bad, um eine neue Schicht Biafine aufzutragen. Fifi hatte ihm unter der Hand starke Beruhigungsmittel besorgt. Zugelassene Medikamente waren seiner Ansicht

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