Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit des Blutes

Die Wahrheit des Blutes

Titel: Die Wahrheit des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
hinein.
    Als er das leere Zimmer in der zweiten Etage betrat, bohrte sich jede Einzelheit in seine Augen.
    Die abgezogene Matratze.
    Das leere Infusionsgestell.
    Das Fußende ohne Krankenblatt.
    Er stürzte zum Schrank und öffnete ihn. Leer. Langsam wich er zurück und ließ seinen Strauß fallen.
    Dann rief er Fifi an.
    »Sind die Kinder da?«
    »Nein, Naoko hat sie abgeholt. Sie meinte, es wäre mit dir abgesprochen …«
    »Wann war das?«
    »Ich würde sagen, so gegen halb neun.«
    Passan blickte auf die Uhr. Es war fast elf.
    »Hör zu«, sagte er mit tonloser Stimme, »ruf in Roissy an und lass alle Flüge nach Japan stoppen.«
    »Glaubst du etwa …«
    »Die Maschinen sollen ausnahmslos am Boden bleiben. Und dann überprüfst du, ob Naoko an Bord ist.«
    »Dazu fehlt uns die Befugnis!«
    »Ich regle das mit dem Staatsanwalt. Immerhin ist Naoko eine Hauptzeugin in einem Mordfall. Mach voran. Der Papierkram kann warten.«
    »Bist du dir ganz sicher?«
    »Sie will mit den Kindern abhauen, kapierst du das nicht?«
    Er legte auf, ohne Fifis Antwort abzuwarten, und stürmte aus dem Zimmer. Hinter ihm blieben nur die zerfledderten Rosen zurück.
    »Herr Kommissar!«
    Passan drehte sich um. Die Ärztin vom Vortag. Sie stand am Ende des Flurs. Er drehte sich um und stapfte zielstrebig auf sie zu. Dabei sah er etwa so sanft aus wie ein aufgebrachter Stier.
    Die Ärztin verschränkte die Arme und blieb seelenruhig stehen.
    »Haben Sie meiner Frau erlaubt, die Klinik zu verlassen?«, brüllte er sie an.
    »Immer mit der Ruhe. Ich sagte Ihnen ja bereits gestern, dass ihr Zustand nicht besorgniserregend ist. Nach einer Nacht unter Beobachtung konnte sie gehen. Im Übrigen hat sie selbst um Entlassung gebeten. Sie schien es ziemlich eilig zu haben.«
    »Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen?«, schrie Passan und zerrte an seiner Krawatte. »Sie wurde tätlich angegriffen.«
    Die Ärztin zuckte mit keiner Wimper. Möglicherweise war sie an allerlei Krisen gewöhnt – schließlich musste sie dann und wann sogar dem Tod selbst die Stirn bieten.
    »Es gehört keineswegs zu unseren Pflichten, unsere Patienten zu schützen. Wir behandeln sie, und damit basta. Und wenn Sie sich hier wie ein Grobian aufführen, ändern Sie daran sicher nichts.«
    »Blöde Kuh!«, schnauzte Passan, drehte sich auf dem Absatz um und spurtete den Flur entlang. Jetzt ging es in erster Linie darum, die verlorene Zeit aufzuholen. Er musste nach Roissy fahren, und zwar schnell. Er musste alle Flüge nach Tokio überprüfen. JAL. All Nippon Airways. Air France. Natürlich auch die Flüge mit Transfer. Cathay Pacific. China Airlines. Alle asiatischen Fluggesellschaften. Und dann musste er Naoko aus der Kabine holen – sie nötigenfalls an den Haaren herauszerren – und die Kinder wieder unter seine Fittiche nehmen.
    »Herr Kommissar!«
    Passan unterdrückte einen Fluch und wandte sich erneut um. Dieses Mal war es die Ärztin, die auf ihn zukam. Ihre müden Züge und die hervortretenden Augen verrieten nicht die geringste Emotion.
    »Es gibt da etwas, worüber ich unbedingt mit Ihnen reden muss …«
    »Dazu ist jetzt keine Zeit!«
    »Mir ist gestern eine Ihrer Bemerkungen aufgefallen«, fuhr sie fort, ohne seinen Einwand zu beachten.
    »Was denn? Was soll ich gesagt haben?«
    »Sie sprachen von Ihren Kindern.«
    Dass sie Shinji und Hiroki erwähnte, überraschte ihn.
    »Ja und?«
    »Stammen diese Kinder aus einer früheren Ehe?«
    »Unsinn! Was soll denn das?«
    »Haben Sie sie adoptiert?«
    »Warum wollen Sie das wissen? Nun reden Sie schon, verdammt noch mal!«
    Zum ersten Mal schien die Ärztin zu zögern. Ihre hellen Augen musterten einen Punkt vor ihren Fußspitzen.
    Passan trat einen Schritt auf sie zu.
    »Entweder haben Sie jetzt zu viel oder nicht genug verraten.«
    »Wenn Sie nicht Bescheid wissen, sollte ich vielleicht nicht …«
    Passan ballte die Fäuste. Die Ärztin rührte sich nicht von der Stelle.
    »Raus damit!«, stieß er hervor.
    »Hören Sie, ich habe mich um alle Untersuchungen Ihrer Frau gekümmert. Blutanalyse, MRT, Scans … Und wenn ich mir einer Sache wirklich hundertprozentig sicher bin, dann ist es die, dass sie nie im Leben ein Kind geboren hat.«
    »WAS?«
    Die Ärztin machte eine hilflose Handbewegung.
    »Sie kann keine Kinder bekommen, weil sie unter einer angeborenen Fehlbildung leidet. Es nennt sich Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom, kurz MRKHS.«
    Passan hatte den Eindruck, am Rand eines

Weitere Kostenlose Bücher