Die Wahrheit des Blutes
Beinen hervorpresste, hatten weiß Gott nichts mit einem verdrängten Wunsch zu tun.
Porte de Champerret. Passan lenkte den Wagen auf den Seitenstreifen und fuhr an der Fahrzeugschlange vorbei.
Nachdem er sein Haus noch einmal akribisch in Augenschein genommen und das Terrain dann seinen Leuten überlassen hatte, war er nach Puteaux in seine Höhle zurückgekehrt. Naoko blieb in der geschändeten Villa. Seit dem Morgen wurde die Schule der Kinder von der Polizei überwacht.
Der Anblick seiner Frau vor der Toreinfahrt des Hauses hatte in Passan ein zwiespältiges Gefühl zurückgelassen. Eine bohrende Frage machte ihm zu schaffen. Liebte er Naoko etwa noch? Sicher nicht. Trotzdem, man konnte sich seine Gefühle nicht aussuchen. Seit langer Zeit war sie ein Teil von ihm. Sie war seine Familie.
Porte de Clichy.
Da er als Waise aufgewachsen war, hatte er sich immer nur auf sich selbst verlassen. Er hatte die Muskeln seines Körpers gestählt und sein Gehirn trainiert. Er hatte sich Regeln, Rahmenbedingungen und Werte verordnet. Als er Naoko begegnete, musste er lernen, diese Festung zu teilen. Zwar wusste die Japanerin genau, was sie wollte, blieb aber bei aller Zielstrebigkeit zerbrechlich und verletzbar. Passan hatte viel Zeit gebraucht, bis er sie in seine Überlebensstrategie eingliedern konnte. Dann aber waren sie nach und nach als Paar zu einer regelrechten Kriegsmaschine geworden.
Porte de Clignancourt.
Nach der Geburt der Kinder hatte er ganz von vorn anfangen müssen. Sich aufteilen. Angreifbar werden. Er war Shinji. Er war Hiroki. Trotz aller Bemühungen wurde er wieder zu einem furchtsamen, schutzlosen Wesen. Wie alle Eltern lebte er nun in ständiger Anspannung. Er wachte nachts wegen Kleinigkeiten auf. Er fühlte sich hilflos, wenn Hiroki die Treppe hinunterfiel oder Shinji ein Diktat verpatzte. Einer von seinen Jungs schluchzte hinter einer verschlossenen Tür – und er konnte nichts tun!
Porte de la Chapelle.
Und nun war der Albtraum Wirklichkeit geworden. Ehe Passan zu Bett ging, hatte er noch mit allen einschlägigen Stellen telefoniert, um sicherzugehen, dass niemand aus dem Gefängnis ausgebrochen war und es auch sonst keine ungewöhnlichen Vorfälle gab. Natürlich! Im Grunde brauchte er eigentlich keine weitere Spur.
Das Verbrechen trug eine deutliche Handschrift. Dieser Fetus war ganz typisch für Guillard.
Porte d’Aubervilliers.
Passan nahm die Ausfahrt und schlängelte sich durch das renovierte Viertel, in dem nichts mehr an die Industriebrache und Fabrikruinen vergangener Zeiten erinnerte. Hier war eine riesige Einkaufsstadt nach amerikanischem Vorbild entstanden: das Millénaire, wo sich eingerüstete Baustellen neben brandneuen Gebäuden erhoben. Auch wenn es noch immer nicht ganz fertig war, hatte man den Eindruck, dass man hier ein eigenes Reich betrat, das sich ganz dem Konsum und der Freizeit verschrieben hatte.
Es regnete wieder. Passan konnte kaum etwas sehen. Die Sirene hatte er abgeschaltet; Lärm herrschte hier ohnehin genug. An fast jeder Ecke stand ein Umleitungsschild. Eine breite Straße folgte der Straßenbahnlinie, an der noch gebaut wurde, breite Plätze und Baustellenschächte wechselten sich ab. Passan irrte durch das Labyrinth.
Dem Navi zufolge befand er sich nur wenige Meter von seinem Ziel entfernt. Nachdem Naoko zur Arbeit gegangen war, hatte Passan zunächst kurz in der Villa vorbeigeschaut, um seine Sachen hinzubringen und Werkzeug zu holen. Immer noch flatterte Absperrband rings um seinen Garten. Die Polizisten, die zur Bewachung abkommandiert waren, wunderten sich nicht über sein Auftauchen. Schließlich wohnte er hier.
Avenue Victor Hugo. Passan fuhr scharf links, überquerte die Fahrbahn in Gegenrichtung, zwang alle entgegenkommenden Fahrzeuge zum Bremsen und brauste auf den Parkplatz der Firma Feria, wo er mit kreischenden Reifen zum Stehen kam. Sein mit dem Matsch von Stains bespritzter Subaru spiegelte sich in dem Schaufenster, in dem die hochglanzpolierten, chromblitzenden Neufahrzeuge ausgestellt waren. Passan zog den Zündschlüssel, sprang aus dem Wagen, ging nach hinten und öffnete den Kofferraum.
Er zögerte nur kurz, ehe er nach der Axt griff. Schon seit Jahren folgte er seiner persönlichen Maxime: »Die beste Idee ist immer die schlimmste.« Er war nicht hier, um Hand an Guillard zu legen, sondern um sich an ein paar Motorhauben und Windschutzscheiben schadlos zu halten. Auf dem Weg zum Showroom entdeckte er hinter der Scheibe
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