Die Wahrheit des Blutes
Lichter wie eine gigantische Kinoleinwand.
»Das ist kein Fetus.«
Stéphane Rudel zog seinen Schutzanzug aus. Unter der Hülle aus Papier trug er ein Poloshirt von Lacoste, Jeans und Bootsschuhe mit weißen Sohlen. Er sah aus, als wäre er auf dem Weg zu seinem Segelboot.
»Wie bitte?«, hakte Passan nach. »Was hast du da gesagt?«
»Es ist ein Affenkadaver«, berichtete Rudel, während er den Schutzanzug in seiner Aktentasche verstaute. »Möglicherweise ein Kapuziner- oder ein Seidenäffchen – irgendwas in dieser Art jedenfalls.«
Passan rieb sich die Stirn. Drinnen in der Küche wurde fotografiert. Überall wimmelte es von Technikern der Spurensicherung. In seiner Küche.
»Ich weiß, wie Affen aussehen.«
»Der im Kühlschrank war gehäutet.«
Passan betrachtete Rudels Gesicht, als wäre es ein seltenes Pergament, auf dem eine unglaubliche Wahrheit stand.
»Könntest du ihn obduzieren?«
»Mit Affen kenne ich mich nicht aus.«
»Dann ruf einen Tierarzt dazu. Du kriegst das schon hin.«
»Schick den Kadaver ins Institut für Rechtsmedizin«, knurrte der Arzt. »Ich werde sehen, was ich tun kann.«
Mit diesen Worten stapfte er in die Nacht davon, ohne sich zu verabschieden. Auch Naoko war verschwunden. Wahrscheinlich um nach den Kindern zu sehen. Passan lief noch ein paar Schritte und versuchte, sich zu konzentrieren. »Ein Affe. In gewisser Weise war das eine verdammt interessante Spur. Sie mussten Tierhandlungen abklappern und …«
Auf der anderen Straßenseite hingen die Nachbarn in den Fenstern. Verdammte Scheiße! Alles, was er hatte verhindern wollen, stürmte jetzt geballt auf ihn ein. Die klare, gezielte Bedrohung. Die Notsituation. Jede Menge Gründe, um in Panik zu geraten. Hier ging es nicht mehr um die Launen eines verrückten Bullen, sondern darum, »die Sicherheit eines Beschwerdeführers zu gewährleisten«. Das einzig Positive war, dass ihm jetzt niemand mehr eine Dauerüberwachung seines Hauses verweigern würde.
Und noch etwas anderes wurde ihm bewusst: Ganz gleich, ob es sich um einen Fetus oder einen enthäuteten Affen handelte – die Anspielung auf eine Geburt war unverkennbar. Und damit war klar, wer dafür verantwortlich zeichnete: der Geburtshelfer.
Als Passan das Haus betrat, traf er im Vorraum auf Zacchary, die noch die weiße Kombi mit Kapuze trug und eben ihre Schuhe wieder anzog.
»Schon irgendwelche Vermutungen?«
»Dazu ist es noch zu früh. Auf den ersten Blick nichts Bemerkenswertes. Keine Einbruchspuren, keine Fingerabdrücke. Aber meine Leute machen weiter.«
Passan erwartete kein Wunder. Wer es schaffte, in das Haus eines Bullen einzudringen, während es überwacht wurde, konnte kein blutiger Amateur sein.
»Du wirst mir die Küche Millimeter für Millimeter untersuchen«, raunzte er sie an. »Und die anderen Räume ebenfalls.«
Die Koordinatorin zuckte die Schultern.
»Was denn?«, brüllte Passan.
»Nichts. Träum weiter«, sagte sie und wandte sich mit ihren silbernen Koffern zur Tür. Passan drehte sich um. Hinter ihm stand Naoko. Sie hatte ihre Fassung wiedergewonnen.
»Ist dir nicht kalt?«
Naoko schüttelte den Kopf. Passan trat einen Schritt näher.
»Schlafen die Kinder?«
Sie nickte halb ungläubig, halb erleichtert.
»Keine Ahnung, wie sie das machen. Ich habe die Fensterläden geschlossen. Denkst du wirklich, dass sie aus dem Haus müssen?«
»Unbedingt. Die Spurensicherung muss das Haus komplett auf den Kopf stellen. Hast du Sandrine erreicht?«
»Sie ist schon auf dem Weg. Kannst du mir erklären, was hier los ist?«
Passan konnte ihr nicht in die Augen blicken.
»Der Gerichtsmediziner ist sich ganz sicher, dass es kein Fetus war.«
»Was dann?«
»Ein Affe. Ein Kapuziner- oder ein Seidenäffchen.«
Naoko lachte nervös auf.
»Hört sich an wie ein schlechter Scherz.«
»Der Kadaver wurde gehäutet. Bei der Obduktion kommt ein Veterinärmediziner dazu. Morgen wissen wir mehr.«
»Du hast mir nicht geantwortet: Was ist hier los?«
»Gar nichts.«
Sie versetzte ihm einen Schlag auf den Arm.
»Hör auf, mich für dumm zu verkaufen. Hat es mit deiner Arbeit zu tun? Ist es vielleicht eine Warnung?«
»Es ist noch zu früh, um dazu etwas zu sagen«, wich Passan aus.
»Wer könnte uns so etwas antun?«
»Ich habe da so meinen Verdacht. Aber zunächst muss ich noch etwas überprüfen.«
Naoko fiel etwas ein.
»Diese Lutscher – das warst du nicht, oder?«
»Nein, das war ich nicht.«
»Idiot!«
»Ich wollte dich
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