Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit des Blutes

Die Wahrheit des Blutes

Titel: Die Wahrheit des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
gepasst.
    Aber die Leute da draußen regten sich ganz umsonst auf. Er würde ganz sicher keine Anzeige erstatten. Der Kampf spielte sich längst nicht mehr auf diesem Niveau ab.
    Irgendwann stieg sein Feind in sein Auto und brauste mit quietschenden Reifen davon.
    Wieder überfiel ihn das krampfhafte Zittern. Er musste sich wohl oder übel der peinlichen Wahrheit stellen: Als er den Bullen mit seiner Axt auf sich zustürmen sah, hatte ihn eine panische Angst gepackt.
    »Alles in Ordnung, Monsieur?«
    Einer seiner Verkäufer stand zwei Meter vor ihm. Der Mann war von Kopf bis Fuß mit gefräßigen Termiten bedeckt, an der Stelle der Augenlider befanden sich schwarze Insektenflügel, und um seinen Kopf herum summte es bedrohlich. Guillard fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, um die Halluzination zu vertreiben, und rückte seinen Krawattenknoten zurecht. Auch eine Antwort. Der Angestellte hakte nicht weiter nach und verschwand.
    Viel zu hastig lief Guillard durch den Showroom. Seine Nasenflügel weiteten sich. Er genoss den beruhigenden Duft von Treibstoff, Gummi und Leder, der in der Luft hing. Dieser Verkaufsraum war sein Heiligtum. Lackierter Zementboden, polierte Karossen, starke Motoren – die glänzende Welt eines zukunftsorientierten Geistes. So sah er sich selbst. Als visionären Halbgott, als industriellen Demiurg.
    Er erreichte das Großraumbüro. Hinter den durchsichtigen Wänden steckte die Belegschaft die Köpfe zusammen, als er vorbeikam. Bereits bestehende Vorurteile hatten neue Nahrung erhalten. Die Besuche des Polizisten, die Beschattung, die Festnahme, die Gerüchte. Seit zwei Tagen schon standen erneut zwei Kerle vor der Niederlassung herum. Und jetzt dieser Angriff.
    Ehe er sein Büro betrat, lächelte er in den Raum. Hier verdächtigte ihn niemand. Oder – um bei der Wahrheit zu bleiben: Hier wagte niemand, ihn zu verdächtigen. Im Übrigen hatten die Vorfälle keinerlei Einfluss auf die Umsatzzahlen in seinen Werkstätten gehabt, die sich nach wie vor hervorragend am Markt behaupteten.
    Leise schloss er die Tür hinter sich. Das Zittern wollte einfach nicht aufhören. Sein nasses Hemd klebte wie eine zweite Haut auf seinen gewölbten Brustmuskeln. Eine neuerliche Krise kündigte sich an. Seine Identität, die er in jahrelanger Arbeit mühsam gefestigt hatte, drohte zu zersplittern.
    Er hängte ein Bild von der Wand ab. Dahinter befand sich der Safe. Nachdem er den Code eingegeben hatte, griff er tief in den Hohlraum und schob Umschläge mit Bargeld und wichtige Dokumente beiseite, bis er den Schnellhefter fand.
    Er wollte sich gerade setzen, als sich seine Gesichtsmuskeln verkrampften und zu einem stummen Schrei erstarrten. Schweißtropfen perlten über seine Stirn. Seine Muskeln fühlten sich wie gelähmt an. Panik stieg in ihm auf. Guillard ließ die Akte fallen und schleppte sich in das angrenzende Bad, wo er eine Ampulle Testoviron aus dem Schrank über dem Waschbecken nahm. Er zerriss die Verpackung einer Spritze und zog das Medikament auf. Zweihundert Milligramm. Die Dosierung war absurd hoch, zumal er sich die gleiche Menge schon zwei Tage zuvor injiziert hatte. Seine Finger zitterten. Das bevorstehende Lustgefühl machte sich in seinem Unterleib bemerkbar. Dieser unglaubliche, niemals zu stillende Hunger.
    Er stach sich die Nadel in den Oberschenkel. Nach einem kurzen Brennen durchflutete eine Woge der Lust seinen ganzen Körper.
    Sein Brennstoff. Sein Lebenssaft.
    Er schloss die Augen. Ein Gefühl der Befreiung erfüllte ihn. Er sah die Szenen seiner Verdammnis vor sich, doch in seinem jetzigen Zustand wirkten sie leicht und unbeschwert. Seine Jugendjahre im Krankenhaus. Bluttests. Urinproben. Testosterongaben, auch heute noch und für immer. Das Mittel machte ihn gleichzeitig stark und verrückt und half ihm, sich männlich und göttlich zu fühlen. Im Lauf der Zeit hatten die Hormone seinen Organismus vergewaltigt und nach und nach sein Blut ersetzt.
    Seine Ärzte hatten ihm ins Gewissen geredet, unbedingt die Dosierung einzuhalten. Wenn in den Bodybuilding-Studios männliche Hormone missbraucht wurden, waren Männer gestorben oder impotent geworden.
    Aber was scherte ihn das?
    Er war bereits tot und impotent zur Welt gekommen.
    Guillard ließ sich auf den Boden gleiten und spürte, wie die zweite Welle anrollte. Nach der Wärme war es nun die Kraft. Am liebsten hätte er jetzt schwere Gewichte gestemmt oder auf irgendwen eingeprügelt.
    Zwischen zwei Krämpfen drehte er den

Weitere Kostenlose Bücher