Die Wahrheit des Blutes
ich mich gut aus«, erklärte er mit lauter Stimme. »Ich muss mir regelmäßig Testosteron injizieren.«
Levy schluchzte. Jetzt begann auch Guillard, sein Opfer zu duzen. In der von Hass und Angst geprägten Hitze entstand plötzlich eine gewisse Nähe.
»Wo sind die Handschuhe, Levy? Zwing mich nicht, zum Äußersten zu greifen.«
»Du kannst mich mal«, brüllte Levy.
Guillard träufelte Desinfektionslösung auf einen Wattebausch und strich damit über die Armbeuge seines Gefangenen.
»Du siehst, ich tue alles, um dir ein Weiterleben zu ermöglichen.«
Er beugte sich hinunter. Der säuerliche Geruch von Levys Angstschweiß schlug ihm entgegen. Der Prozess hatte begonnen.
»Schwefel«, flüsterte er Levy ins Ohr. »Der Schmerz wird sich ziemlich rasch in deinem Körper ausbreiten. Du bist noch nicht alt, was in diesem Fall wohl kein Vorteil ist. Mit dem Schmerz ist es wie mit Krebs. Er nährt sich von der Kraft seines Opfers.«
»Nein!«
»Wo sind die Handschuhe?«
»NEIN!«
»Die Handschuhe.«
Guillard drückte auf den Kolben.
»Sie sind in einem Banksafe.«
»Welche Bank?«
»HSBC. Avenue Jean Jaurès Nummer 47. Im 19. Arrondissement.«
»Wie lautet die Safenummer?«
»12B345«
»Bist du Kunde dieser Bank?«
»Nicht in dieser Filiale.«
»Kennt man dich dort?«
»Ich war nur einmal dort. Um den Safe anzumieten.«
»Wann?«
»Gestern Abend, nachdem ich die Handschuhe abgeholt hatte.«
In Gedanken spielte Guillard seine Möglichkeiten durch. Rein körperlich sah er dem Kripomann nicht einmal unähnlich. Mit seinem Ausweis konnte es klappen. Er zog die Nadel heraus und entspannte sich. Levys Kleidung hatte er mitgebracht, um sie zu verbrennen, sobald alles vorüber war. Mit einem Griff in die Jackentasche förderte er die Brieftasche zutage. Das Foto auf dem Ausweis war zwar mindestens zehn Jahre alt, doch Levy war damals schon kahlköpfig gewesen. Es konnte also funktionieren. Auch die Unterschrift auf der Kreditkarte war nicht schwer nachzumachen.
Er räumte seine Utensilien fort und trat zu Levy. Die Hitze wurde unerträglich. Levys Schließmuskel hatte nachgegeben. Guillard genoss den Fäkaliengeruch, der sich schnell im ganzen Raum ausbreitete. Bei dieser erstickenden Hitze würde sich der Erpresser buchstäblich in seinen eigenen Hinterlassenschaften auflösen.
Mit einer knappen Bewegung hob er das Rollgitter um etwa einen Meter.
»Wo willst du hin?«, jammerte Levy.
»Deine Informationen überprüfen.«
»Bleib …«
Guillard löschte das Licht. Den Erste-Hilfe-Koffer und Levys Klamotten nahm er mit. Die Handschuhe trug er immer noch. In der Dunkelheit schien sich das Dröhnen der Klimaanlage noch zu verstärken.
»In ein paar Stunden bin ich zurück«, rief er. »Wenn ich die Handschuhe dann habe, können wir über deine Zukunft nachdenken. Wenn nicht – nun, dann wird mir schon etwas einfallen.«
»Warum ist es hier so heiß?«
»Du musst schwitzen, um das Betäubungsmittel auszuscheiden.«
»BLEIB HIER!«
»Spar dir deine Kräfte. In dieser Tiefgarage hat seit drei Jahren kein Auto mehr gestanden. Bis gleich.«
Guillard ließ das Rollgitter herunter und ging mit schnellen Schritten zu seinem Auto. Halb acht. Alles ging glatt. Ihm blieb eine halbe Stunde, um Neuilly zu erreichen, am Boulevard d’Inkermann zu parken, hinten durch die Gärten zu laufen und den Geheimweg nach Hause zu nehmen, den er immer benutzte.
Er drehte den Zündschlüssel und regulierte die Temperatur so weit wie möglich nach unten. Die kühle Luft tat unendlich gut. Er genoss sie einige Zeit mit geschlossenen Augen, ehe er mit quietschenden Reifen losraste. Nach einer schönen Dusche würde er zu Hause bis neun Uhr warten, unter den aufmerksamen Blicken seiner Aufpasser in seine E-Klasse steigen und sich von seinem Chauffeur wegbringen lassen.
Der Beginn eines neuen Tages.
Überrascht registrierte er, wie entspannt er sich fühlte. Im Grunde war diese Sache mit Levy nichts als ein Kollateralschaden. Das Einzige, was wirklich zählte, war der Kampf gegen den Feind.
Die Konfrontation. Aber auch die Annäherung.
41
»Ist gestern Nacht alles in Ordnung gewesen?«
»Alles bestens.«
»Sind die Kinder pünktlich im Bett gewesen?«
»Ja, klar.«
»Deine Stimme klingt komisch.«
»Ich bin ziemlich spät dran.«
»Ich habe dich eben schon einmal angerufen, weil ich mit ihnen sprechen wollte.«
»Du weißt ja, wie es morgens hier abläuft.«
Naoko schwieg. Sie kannte das Morgenritual der
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