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Die Wahrheit des Blutes

Die Wahrheit des Blutes

Titel: Die Wahrheit des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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klappte seinen Laptop zu. Aus unerfindlichen Gründen war er jetzt mehr denn je davon überzeugt, dass der Autoverkäufer der Eindringling war. Und dass er vorhatte, sein Haus, seine Familie und sein Leben in Flammen aufgehen zu lassen.
    Er bekam Magenkrämpfe. Eine Lexotanil hätte ihm jetzt gutgetan, und er kannte Naokos Versteck. Aber bisher hatte er seine eherne Regel, niemals Drogen zu nehmen, erst ein einziges Mal verletzt. Damals, als er sich in einer tiefen Depression befand.
    Action statt Pillen, lautete seine Devise.

44
    In der Niederlassung von Aubervilliers war keine Bewegung auszumachen.
    Allerdings konnte Passan auch so gut wie nichts sehen. Grelles Sonnenlicht spiegelte sich auf den Scheiben, sodass man keinen Blick in die Räume erhaschen konnte.
    Sein Wagen stand auf dem Parkplatz auf der gegenüberliegenden Seite der Avenue Victor Hugo. Mit geschlossenen Fenstern und voll aufgedrehter Klimaanlage.
    Hundert Meter von ihm entfernt gingen Albuy und Malençon neben ihrem Fahrzeug auf und ab. Ein Stück näher lehnte Guillards Chauffeur an der E-Klasse seines Chefs und rauchte eine Zigarette. Passan selbst blieb unentdeckt. Er hielt sich wohlweislich im Gegenlicht auf.
    Ohne sein Ziel aus den Augen zu lassen, blätterte er in den Fünfzehn Legenden aus der Mythologie , dem Lieblingsbuch Guillards in Jules-Guesde. »Prometheus in Ketten«, »Der Kampf um das goldene Vlies«, »Die Wiedergeburt des Phönix«, »Der Seher mit den schwarzen Füßen« … Die Schwarz-Weiß-Zeichnungen besaßen eine ganz besondere Kraft. Der Zeichner schien es darauf angelegt zu haben, die Nerven des Lesers blank zu legen.
    Sicher war, dass Guillard seine mörderischen Gelüste auf eine dieser Geschichten gründete. Das von seinen Kameraden verlachte einsame, unglückliche und bösartige Zwitterwesen, das mit Vögeln und Regenwürmern redete, hatte sich mithilfe dieser Seiten eine Identität geschaffen.
    Passan dachte an Guillards Hang zur Pyromanie und verweilte bei Prometheus, der den Menschen das Feuer gebracht hatte. Doch dieser Bezug passte nicht. Der Titan war ein Verlierer und wurde von Zeus zu einer ewigen Strafe verdammt. Hermaphroditos? Die Geschichte erzählte lediglich vom Schicksal eines Bisexuellen. Hier gab es weder Feuer noch Zerstörung. Der Phönix hingegen konnte passen. Der mythische Vogel hatte kein Geschlecht. Er war weder männlich noch weiblich und pflanzte sich fort, indem er in seinem Nest verbrannte und einsam und selbstbestimmt aus der Glut wiedergeboren wurde. Ob die Opferungen der Babys ein Symbol dafür sein sollten?
    Passan blickte auf. Unter der sommerlichen Sonne wurden die Staus immer dichter. Trotz der geschlossenen Scheiben spürte er die erstickende Kraft des sich verändernden Viertels. Alles wirkte hier amerikanisch – eine Fußgängerzone ohne Fußgänger, deren angekündigte »warme Menschlichkeit« sowohl Wärme als auch Menschen vermissen ließ. Dafür spien die umgebenden Straßen eine unendliche Flut von Autos, Abgasen, Lärm und Gestank aus. Nagelneue rote Wohnhäuser ragten aus dem Chaos empor. Und doch würden auch sie in wenigen Jahren schmutzig und heruntergekommen sein und einen Teil dieser Hölle bilden.
    Mit einem Mal schimpfte Passan sich einen Idioten. Er war hier, um Guillard zu überwachen und festzustellen, ob der Mann sich irgendwie heimlich vom Acker machen konnte. Und doch hatte er sich auf dieselbe Seite gestellt wie die beiden Beschatter. Wenn der Autohändler sich davonstehlen wollte, würde er sicher einen anderen, nur ihm allein bekannten Weg benutzen.
    Passan ließ den Wagen an und fuhr einmal um den Block. Als er zum zweiten Mal rechts abbog, fiel ihm die Einfahrt zu einer Tiefgarage auf. In diesem Augenblick schoss ein Mercedes der A-Klasse aus ihr heraus und fuhr in entgegengesetzte Richtung zur Porte d’Aubervilliers davon. Trotz der spiegelnden Windschutzscheibe konnte Passan einen Mann mit Schirmmütze und grauer Jacke erkennen. Guillard? Passan konnte kaum glauben, dass er wirklich so viel Glück gehabt hatte. Aber vielleicht war es ja das Gesetz der Diffusion, der gleichmäßigen Verteilung, das hier zum Tragen kam. Bislang hatte er in diesem Fall nur Pech gehabt. Es wurde allmählich Zeit, dass sich das änderte.
    Passan wendete, zwang mehrere Autos zu einer Vollbremsung und gab Gas. Eine Minute später folgte er dem Mercedes über den nördlichen Boulevard Périphérique. Als er näher kam, sah er den Fahrer deutlicher. Im Nacken unter der Kappe

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