Die Wahrheit des Blutes
Flammen hatten ihre beruhigende Wirkung verloren. Aber hatten sie ihn überhaupt je beruhigt? Sie schenkten ihm Macht und Erregung, doch niemals Frieden. Er erinnerte sich seiner Unzufriedenheit nach der Auslöschung seiner Eltern. Selbst die Brandopfer im 9–3 hatten nur begrenzt gewirkt. Die Wiedergeburt erfolgte jedes Mal weniger kraftvoll und weniger gewaltig.
Levy hatte aufgehört zu brennen. Er hing verdreht, mit entstelltem Gesicht und verkrümmten Händen auf seinem Stuhl. Seine Haltung erinnerte an die versteinerten Leichen in Pompeji.
Guillard schaltete die Klimaanlage ab und zog sein mit winzigen schwarzen Partikeln übersätes Gewand aus. Völlig nackt begann er aufzuräumen. Eine unermessliche Mattigkeit überkam ihn. Die Anzeichen häuften sich. Für ihn gab es keine Lösung mehr. Nur der letzte Flug würde ihm Frieden bringen.
Mit Schutzhandschuhen zerrte er den toten Levy zur anderen Seite des Raums und öffnete die Klappe, die ursprünglich für Ölwechsel vorgesehen war. Der bittere, beißende Geruch der Säure reizte seine Kehle. Er sah sein Spiegelbild auf der schillernden Oberfläche des Beckens. Ein bleicher Schatten, der von schwarzen, Verderben bringenden Spuren durchzogen wurde.
Seine Sicherheit kehrte zurück.
Heute Abend würde der Ritter der Finsternis wieder seinen Spuren folgen und seine kleinsten Bewegungen beobachten. Und genau dann wurde es Zeit, zu handeln.
Mit dem Fuß rollte er die Leiche vorwärts und sprang rechtzeitig zurück, um keine Spritzer abzubekommen. Während ein ekelerregender Dunst aus der Grube aufstieg und den Geruch nach verbranntem Fleisch noch verstärkte, schloss er die Augen und breitete die Arme aus.
Die endgültige Wiedergeburt würde an diesem Abend stattfinden.
51
Man hatte Passan in eine Ausnüchterungszelle im Keller der Zentraldirektion der Kripo in der Rue des Trois Fontanot gebracht. Ihm war nicht klar, ob man damit ihn vor den anderen oder die anderen vor ihm und seinen Tobsuchtsanfällen schützen wollte. Aus den benachbarten Zellen drangen Schreie und eine Art Grunzen zu ihm herüber – die Geräusche von Säufern im Delirium, angeblich Unschuldigen, die sich lautstark über die Ungerechtigkeit beschwerten, und Geistesgestörten, die auf ihre Überführung in die Psychiatrie warteten.
Passan kauerte auf der an der Wand angebrachten Bank. Man hatte ihm Schuhe und Gürtel abgenommen. Sein Gehirn fühlte sich an wie in Watte verpackt. Man hatte ihm ein Beruhigungsmittel gespritzt, sodass er sich matt und wie in einem merkwürdigen Schwebezustand fühlte. Leider konnte er trotzdem nicht all das vergessen, was ihn seit Tagen antrieb.
Er musste hier raus.
Seine Gedanken kreisten um Guillard. Wo war der Mistkerl heute Mittag hingegangen? Was hatte er vorgehabt? Passan wollte einen Blick auf seine Uhr werfen, aber auch die hatte man ihm abgenommen.
Er musste Guillard unbedingt auf den Fersen bleiben. Und bevor der Kerl ihm erneut entwischte, musste er ihm eine Kugel in den Kopf jagen.
Das Schloss klirrte. Passan sprang auf die Füße.
»Setz dich.«
Fifi trat in den Raum, schloss die Tür und lehnte sich dagegen.
»Setz dich endlich.«
Passan ließ sich auf die Bank sinken und raffte seine Anzugjacke um sich herum, als befinde er sich auf einem Schiff in stürmischer See. Getrockneter Schweiß spannte seine Haut.
»Du musst zum Staatsanwalt.«
»Nicht zum Richter?«
»Duclos wird dich nicht verklagen. Da hast du noch mal Schwein gehabt, Alter. Allerdings dürfte der Bericht ziemlich gesalzen ausfallen.«
Passan verbarg das Gesicht in den Händen. Er würde das Sorgerecht für die Kinder verlieren. Man würde ihn entlassen. Er würde …
Er blickte auf.
»Hat jemand Naoko Bescheid gesagt?«
»Wir nicht. Aber keine Sorge, sie wird es erfahren. Da vertraue ich voll und ganz auf ihren Anwalt. Ich habe ein paar Erkundigungen eingezogen – der Kerl muss ein ziemlicher Widerling sein. Er hat überall seine Leute sitzen, vor allem bei uns. Ich frage mich, wo Naoko den aufgegabelt hat.«
Passan rieb sich die Schultern. Womöglich verdankte Duclos den Großteil seiner Informationen ja doch den Verbindungen des Anwalts. Vielleicht hatte Naoko ihn ja doch nicht ganz und gar verraten.
»Was hast du heute Morgen gemacht?«
»Nichts.«
»Du warst vor Guillards Haustür.«
»Nein.«
»Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Albuy und Malençon haben dich auf dem Parkplatz vor der Niederlassung gesehen.«
Passan zog es vor zu
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