Die Wahrheit des Blutes
werde ich ihn in jedem Fall. Versprochen.«
Naoko zweifelte keine Sekunde an seinen Worten. Er war der beste Jäger überhaupt. Aber was würde er noch alles unternehmen müssen, um sein Ziel zu erreichen? Und was würde bis dahin noch geschehen? Sie erschauerte, wusste aber nicht, was sie sagen sollte. Passan war ein Mann der Tat. Worte hatten für ihn wenig Bedeutung.
Inzwischen war es dunkel geworden. In den wie Brunnenschalen geformten Mizubashi-Steinen plätscherte das Wasser, als würde es leise lachen. Am Ende des Gartens ragte der Bambuszaun auf, der die Grundstücksmauer verbarg. Mehr als alles andere erinnerte er Naoko an den Garten ihrer Eltern, der zwischen den Nachbargrundstücken eingepfercht war. In Japan sind Häuser und Grundstücke oft ineinander verschachtelt. Naoko war in diesem Gewirr aufgewachsen, wo Leere ein Fremdwort ist und kaum existiert. Außer vielleicht in der Meditation.
Sie gingen weiter den geschlängelten Pfad entlang. Naoko sprach nicht mehr. Die Stille schmolz in ihrem Mund wie ein Eiswürfel. Ein Teil ihres Gehirns nahm selbst kleinste Details wahr. Das Lachen des Wassers. Den Duft der Pflanzen. Die rote Rinde der schräg wachsenden Kiefern. Eigentlich fehlten nur die Krähen. Ihr Herz wurde schwer.
»Erinnerst du dich noch, wie du einmal versucht hast, Japanisch zu lernen?«, fragte sie unvermittelt.
Passan lachte auf. Er war nicht überrascht, denn er hing den gleichen Gedanken nach.
»Und du, wie du versucht hast, das ›r‹ richtig auszusprechen?«
Nun lachte auch Naoko.
»Das habe ich schon lang aufgegeben.«
Nach einiger Zeit fügte sie nüchtern hinzu:
»Ich glaube, wir haben uns nicht sehr viel weiterentwickelt.«
Sie verließen den Schatten der Kiefern und standen vor der Villa. In der hereinbrechenden Dunkelheit wirkte sie so einfach wie eine Kinderzeichnung. Weißer Würfel auf grüner Wiese. Naoko warf Passan einen forschenden Blick zu. Auf seinem Gesicht spiegelte sich eine Art Zärtlichkeit. Sie spürte, dass ihnen beiden plötzlich seltsam befangen zumute war. Es war ein Gefühl, für das es kein Wort gab. Ein Gefühl, das mit den Dingen zu tun hatte, die sie miteinander durchgemacht hatten und für die sie sich jetzt aus unerklärlichen Gründen schämten. Vielleicht fühlten sie sich ihrer auch einfach nicht mehr würdig.
»Möchtest du die Kinder begrüßen?«, fragte Passan, um sein Unbehagen zu überspielen.
»Lieber nicht. Ich gehe jetzt besser. Wir sollten uns an die Regeln halten.«
»Natürlich«, stimmte er zu.
Naoko zeigte auf die hell erleuchteten Fenster.
»Verbringt Fifi den Abend mit euch?«
»Wir müssen noch arbeiten, sobald die Jungs im Bett liegen.«
»Woran?«
»Ach, nur Papierkram für den Job.« Er blickte auf die Uhr. »Ich muss mich jetzt ums Abendessen kümmern. Soll ich dich hinausbegleiten?«
»Nicht nötig. Ruf mich bitte morgen früh an.«
Sie wandte sich zum Tor. Ihre Unruhe war vergessen. Sie hatte den Eindruck, nach einer langen, unsicheren Irrfahrt durch einen Traum endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren.
Trotzdem kamen die bitteren Erinnerungen nur allzu schnell zurück. In den letzten Jahren mit Passan hatte sie versucht, sich an jede Einzelheit und jede Geste zu klammern. Ein Essen zu zweit im Restaurant hatte damals ausgereicht, um sie für Wochen positiv zu stimmen. Ein Lächeln oder ein freundlicher Blick hatten ihren Tag sofort verschönt. Doch später hatte er ihr nicht einmal mehr diese kleinen Aufmerksamkeiten gegönnt. Und wenn es zufällig doch einmal vorkam, war sie es gewesen, die ungeschickt darauf reagierte. In ihrer Gier nach Liebe biss sie in die Hand, die ihr Nahrung reichte.
Naoko suchte in ihrer Tasche nach der Fernbedienung. Sie weinte nicht. Offenbar gehörten sogar ihre Tränen einer anderen Zeit an.
53
Seine Ultima Ratio besaß ein NightForce-Zielfernrohr mit Leuchtabsehen. Auf diese Entfernung brauchte er es eigentlich nicht, die Vergrößerung konnte sich sogar als hinderlich herausstellen. Doch die hoch technisierte Ausrüstung gab ihm eine gewisse Sicherheit. Aber würde er das Equipment auch benutzen? Solche Fragen stellte Passan sich eigentlich nicht mehr. Die letzten Ereignisse hatten ihm gezeigt, dass jede Planung sinnlos war.
Seit einer Stunde saß er in schwarzer Kleidung auf einem Baum und beobachtete die etwa hundertfünfzig Meter entfernte Terrasse durch sein Nachtsichtfernrohr. Das wenige, tausendfach verstärkte Restlicht tauchte alles in ein
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