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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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erzählt. Oder doch? Es war so schwer, einen klaren Gedanken zu fassen.
    »Was gibt’s?«, fragte John-Paul. Er saß ihr gegenüber auf der Holzbank, trug eine Jeans und einen langärmeligen, gestreiften Pulli, den die Mädchen ihm zum letzten Vatertag geschenkt hatten. Er beugte sich vor, die Hände lässig zwischen den Knien. Seine Stimme hatte einen befremdlichen Ton. Leise und überanstrengt, so ähnlich klang er, wenn er mit den Mädchen sprach oder wenn eine Migräneattacke im Anzug war, er aber noch hoffte, sie würde nicht ganz durchschlagen.
    »Kriegst du deine Migräne?«
    Er schüttelte den Kopf. »Mir geht es gut.«
    »Schön. Hör mal, heute, als ich auf der Ostermützen-Parade war, habe ich gesehen …«
    »Wie geht es dir denn?«
    »Gut«, sagte sie ungeduldig.
    »Du siehst aber nicht gut aus. Du siehst fürchterlich aus. So, als hätte ich dich krank gemacht.« Seine Stimme zitterte. »Das Einzige, was mir je wichtig war, war, dich und die Mädchen glücklich zu machen. Und jetzt habe ich dich in diese unerträgliche Lage gebracht.«
    »Ja.« Cecilia krallte ihre Finger um die Sitzleisten der Bank und beobachtete ihre Töchter, die gleichzeitig in helles Lachen ausbrachen, weil im Fernsehen wohl gerade etwas Lustiges zu sehen war. »›Unerträglich‹ trifft es so ziemlich genau.«
    »Den ganzen Tag auf der Arbeit habe ich überlegt, wie ich das wieder hinkriegen kann? Wie kann ich es erträglicher machen für dich?« Er kam zu ihr herüber und setzte sich neben sie. Cecilia spürte die wohlige Wärme seines Körpers. »Offensichtlich kann ich das nicht. Nicht wirklich. Doch ich will dir eines sagen: Wenn du willst, dass ich mich stelle, dann tue ich das. Ich werde nicht von dir verlangen, dass du diese Bürde mit mir trägst, wenn du das nicht kannst.«
    Er nahm ihre Hand und drückte sie fest. »Ich tue alles, was du willst, Cecilia. Wenn du willst, dass ich geradewegs zur Polizei gehe oder zu Rachel Crowley, dann tue ich das. Wenn du willst, dass ich verschwinde, weil du es nicht erträgst, mit mir unter einem Dach zu leben, dann gehe ich. Ich werde den Mädchen erzählen, dass wir uns trennen, weil … warum, weiß ich auch noch nicht. Aber ich nehme selbstverständlich alle Schuld auf mich.«
    Cecilia spürte, wie John-Paul am ganzen Körper zitterte. Seine Hand war schwitzig.
    »Dann bist du bereit, ins Gefängnis zu gehen? Was ist mit deiner Klaustrophobie?«
    »Damit werde ich klarkommen müssen«, sagte er. Seine Hand schwitzte noch mehr. »Die spielt sich sowieso nur im Kopf ab. Sie ist nicht real.«
    Angewidert, aus einer plötzlichen inneren Regung heraus, stieß sie seine Hand weg. »Warum hast du das nicht früher schon getan? Bevor ich dich überhaupt kennengelernt habe?«
    Er hob die Hände und sah mit verzerrtem, flehendem Gesicht zu ihr hinauf. »Das kann ich dir nicht beantworten, Cecilia. Ich habe versucht, es zu erklären. Es tut mir leid …«
    »Und nun schiebst du mir den Schwarzen Peter zu, sagst, ich solle eine Entscheidung treffen. Es hat also gar nichts mehr mit dir zu tun. Es liegt jetzt in meiner Verantwortung, ob Rachel die Wahrheit erfährt oder nicht!« Sie musste an den blauen Makronenkrümel an Rachels Mund denken und schauderte.
    »Nicht, wenn du das nicht willst!« John-Paul war den Tränen nahe. »Ich habe versucht, dir die Sache zu erleichtern.«
    »Siehst du denn nicht, dass du sie zu meinem Problem machst?«, schrie Cecilia, doch ihr Zorn wich im nächsten Moment einer riesigen Welle der Verzweiflung. John-Pauls Angebot, sich zu stellen, machte die Sache nicht besser. Nicht wirklich. Sie, Cecilia, war bereits verantwortlich. Von dem Moment an, da sie diesen Brief geöffnet hatte.
    Sie sank zurück auf die Bank, die auf der anderen Seite stand. »Ich habe heute Rachel Crowley gesehen«, sagte sie. »Ich habe ihr Tupperware gebracht. Sie erzählte mir, sie habe einen neuen Beweis, aus dem hervorgeht, wer Janies Mörder ist.«
    John-Pauls Kopf ruckte hoch. »Das kann nicht sein. Es gibt nichts. Es gibt keinen Beweis.«
    »Ich wiederhole nur, was sie gesagt hat.«
    »Na schön.« John-Paul schwankte ein wenig, als hätte er einen kleinen Schwindelanfall, und schloss kurz die Augen. Er schlug sie wieder auf. »Dann wird uns die Entscheidung möglicherweise abgenommen. Mir.«
    Cecilia überlegte, was genau Rachel gesagt hatte. So etwas wie: Ich habe etwas gefunden, das beweist, wer Janie getötet hat .
    »Diesen Beweis, den sie da gefunden hat«, bemerkte

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