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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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vielleicht gerade schon dabei. Ich weiß, er ist völlig verkorkst wegen seiner ermordeten ersten Freundin. Aber ich werde ihm nicht das Herz brechen. Ich bin ein guter Mensch .
    Ja, das war sie. Ein guter Mensch. Leise drang ein Gefühl in ihr Bewusstsein, ein fast beängstigendes Gefühl der Schande ob der Art und Weise, wie sie ihr Leben führte. Hatte ihre »Sozialphobie«, die Art, wie sie sich von den Menschen abschottete und sich wegduckte hinter der praktischen Mauer der Scheu, nicht etwas ausgesprochen Kleinkariertes und Schäbiges? Sobald sie in einer Freundschaft ein Zuviel an Nähe wahrnahm, tauchte sie ab, reagierte ewig lange nicht auf Anrufe oder E-Mails. Und schließlich gaben es die Leute auf, was Tess stets als Erleichterung empfand. Wäre sie eine bessere Mutter, eine geselligere Mutter, dann hätte sie Liam geholfen, Freundschaften mit anderen Kindern aufzubauen und zu pflegen, als Marcus ihm so zugesetzt hatte. Dann wäre dieser Junge gar nicht zu so einem großen Problem für Liam geworden. Aber nein, sie hatte sich unbekümmert zurückgelehnt und mit Felicity bei einem Gläschen Wein über alle anderen gekichert und gelästert. Sie und Felicity ertrugen sie nicht, diese überaus mageren, überaus sportlichen, überaus reichen oder überaus intellektuellen Menschen. Sie lachten über alle, die einen Personal Trainer hatten oder ein kleines Hündchen. Sie lachten über alle, die geistreiche Kommentare mit Rechtschreibfehlern auf Facebook schrieben oder Phrasen benutzten wie »Oh, mein Leben könnte momentan gar nicht schöner sein«, über alle, die immer irgendwie »engagiert« waren – wie Cecilia Fitzpatrick.
    Tess und Felicity bewegten sich am Spielfeldrand des Lebens und amüsierten sich königlich über die Akteure.
    Wenn Tess ein breiteres soziales Netzwerk hätte, hätte sich Will vielleicht gar nicht in Felicity verliebt. Oder er hätte zumindest eine größere Auswahl an potenziellen Geliebten gehabt.
    Würde ihr Leben auseinanderfallen, gäbe es keinen einzigen Freund, den sie anrufen könnte. Keinen einzigen. Und das war der Grund, warum sie sich Connor gegenüber so und nicht anders verhielt. Sie brauchte einen Freund .
    »Ich passe in dein Muster, nicht wahr?«, fragte Tess spontan. »Du suchst dir immer wieder die falschen Frauen. Ich bin auch wieder die Falsche. Muss schrecklich für dich sein.«
    »Mmmm«, murmelte Connor. »Außerdem hast du die versprochenen Karfreitagsbrötchen nicht mitgebracht.« Er kippte sich den letzten Schluck heißer Schokolade in den Mund, stellte den Becher neben sich und rutschte dichter an sie heran.
    »Ich benutze dich nur«, sagte Tess. »Ich bin eine schreckliche Person!«
    Seine warme Hand umfasste ihren Nacken. Er zog sie zu sich heran, so nah, dass sie die Schokolade in seinem Atem riechen konnte, und nahm ihr den Becher aus der widerstandslosen Hand.
    »Ich benutze dich, damit ich nicht mehr so oft an meinen Ehemann denken muss«, fügte sie hinzu, um ihre Worte zu verdeutlichen. Sie wollte, dass er das verstand.
    »Tess, meine Süße. Denkst du, ich weiß das nicht?« Dann küsste er sie so innig, so vollkommen, dass sie das Gefühl hatte zu fallen, zu schweben, sich zu drehen: hinab, hinab, hinab – wie Alice im Wunderland.

45
    17. April 1984
    Janie hatte nicht gewusst, dass Jungs rot werden können. Rob wurde rot, aber der zählte nicht als richtiger Junge. Nein, sie hatte nicht gewusst, dass ein intelligenter, gut aussehender Junge einer Privatschule wie John-Paul Fitzpatrick rot werden konnte. Es war später Nachmittag, und das Licht veränderte sich gerade, machte alles unscharf und schattenhaft. Doch sie konnte noch erkennen, dass John-Pauls Gesicht glühte. Sogar seine Ohren waren durchscheinend rosa, wie sie bemerkte.
    Sie hatte gerade ihre kleine Ansprache beendet, ihm gesagt, dass es einen »anderen Jungen« gebe, der wolle, dass sie … hm, na ja, irgendwie seine Freundin sei. Und deshalb könne sie ihn, John-Paul, nicht mehr treffen, sagte sie, da der andere Junge »die Sache irgendwie offiziell« machen wolle.
    Sie hatte die vage Vorstellung gehabt, dass es besser wäre, es so darzustellen, als wäre es Connors Schuld, als verlangte er von ihr, dass sie mit John-Paul nun Schluss machte. Doch jetzt, da sie sah, wie John-Pauls Gesicht ganz rot wurde, fragte sie sich, ob es nicht doch ein Fehler gewesen war, diesen anderen Jungen überhaupt zu erwähnen. Sie hätte es auch auf ihren Vater schieben können, hätte sagen

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