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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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können, dass sie viel zu viel Angst habe, er könne dahinterkommen, dass sie sich mit einem Jungen trifft.
    Doch irgendein Teil von ihr wollte, dass John-Paul wusste, dass sie begehrt war.
    »Aber Janie …« Seine Stimme klang mädchenhaft und piepsig, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. »Ich dachte, du bist meine Freundin.«
    Janie war erschrocken. Vor lauter Mitgefühl wurde auch sie rot bis über beide Ohren, schaute zur Seite hin zu den Schaukeln und hörte sich selbst leise kichern. Ein seltsames, hell klingendes Kichern. Es war eine schreckliche Angewohnheit von ihr, dass sie kichern musste, wenn sie nervös war, zumal jetzt, da sie ihre Situation alles andere als spaßig fand. Es war ihr zum Beispiel auch passiert, als sie dreizehn gewesen war und der Schulleiter mit einem ernsten und traurigen Ausdruck auf seinem sonst so heiteren Gesicht zur ersten Unterrichtsstunde in die Klasse gekommen war, um zu verkünden, dass der Mann ihrer Erdkundelehrerin verstorben sei. Janie war derart betroffen und erschüttert gewesen, dass sie hellauf gelacht hatte. Es war unerklärlich. Die ganze Klasse drehte sich vorwurfsvoll zu ihr um, und sie wäre vor Scham beinahe gestorben.
    John-Paul streckte die Hand nach ihr aus. Ihr erster Gedanke war, er wolle sie küssen, was er auf ganz eigene Weise meisterlich beherrschte, und sie war erfreut und erregt. Er würde es nicht zulassen , dass sie mit ihm Schluss machte. Er würde es nicht dulden!
    Doch dann packte er sie um den Hals. Sie versuchte zu sagen: »Du tust mir weh, John-Paul«, aber sie konnte nicht sprechen … sie wollte das Missverständnis aufklären, ihm klarmachen, dass sie ihn eigentlich viel lieber mochte als Connor, dass sie seine Gefühle nie hatte verletzen wollen, dass sie seine Freundin sein wollte. Sie versuchte, ihm all das mit ihren Augen zu sagen, die in die seinen starrten, in seine wunderschönen Augen. Eine Sekunde lang dachte sie, sie würde eine Regung darin erkennen, eine schockierte Einsicht, und spürte, wie sein Griff sich lockerte. Doch da passierte noch etwas anderes mit ihrem Körper, etwas absolut Unrechtes, absolut Unbekanntes, und schlagartig erinnerte sie sich irgendwo in ihrem Hinterkopf daran, dass ihre Mutter sie heute von der Schule abholen wollte, um sie zum Arzt zu fahren, sie das aber völlig vergessen hatte und stattdessen zu Connor gegangen war. Ihre Mutter war bestimmt stocksauer.
    Scheiße  – das war ihr letzter, klar artikulierter Gedanke.
    Danach gab es keine Gedanken mehr, nur hilflose, strampelnde Panik.

46
    Karfreitag
    »Saft!«, forderte Jacob.
    »Was willst du, mein Süßer?«, flüsterte Lauren.
    Saft , dachte Rachel. Er will Saft. Bist du taub?
    Es war gerade erst hell geworden. Rachel, Rob und Lauren waren im Wattle Valley Park, standen in der Kälte dicht beisammen, rieben sich die Hände und stapften mit den Füßen, während Jacob zwischen ihren Beinen herumwuselte. Der Kleine war dick eingepackt in einen Parka, der in Rachels Augen viel zu klein war, da seine Arme eng und steif darin steckten wie die eines Schneemanns.
    Wie erwartet trug Lauren ihren Trenchcoat, obgleich ihr Pferdeschwanz nicht ganz so perfekt aussah wie sonst. Aus dem Haarband hatten sich einzelne Strähnen gelöst, und sie wirkte müde. Sie hielt eine einzelne rote Rose in der Hand, was Rachel recht albern fand. Die Rose sah aus wie die, die in diesen zylinderförmigen Plastikfolien steckten, die man als Frau zum Valentinstag geschenkt bekommt.
    Rachel selbst trug ein kleines Sträußchen mit bunten Gartenwicken, die sie im eigenen Garten gepflückt und mit einem grünen Samtband zusammengebunden hatte, das Janie im Haar getragen hatte, als sie noch sehr klein gewesen war.
    »Legst du die Blumen dorthin, wo man sie aufgefunden hat? Ans untere Ende der Rutschbahn?«, hatte Marla sie einmal gefragt.
    »Ja, Marla, genau dort lege ich sie hin, damit sie auch ja zertrampelt werden von Hunderten kleiner Füße«, hatte Rachel geantwortet.
    »Oh, ja, da muss ich dir recht geben«, meinte Marla und war nicht einmal gekränkt.
    Die Rutschbahn war heute nicht mehr dieselbe. Die klobigen, alten, metallüberzogenen Spielgeräte waren inzwischen ersetzt durch modernes, raffiniertes Zeugs – so wie auf dem Spielplatz in dem Park in der Nähe von Rachels Haus, zu dem sie mit Jacob immer ging, wo man mit jedem Schritt auf einem gummierten Bodenbelag astronautenartig federte.
    »Saft!«, rief Jacob erneut.
    »Ich verstehe dich nicht, mein

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