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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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Laufenden zu halten, was ihr mehr als recht war.
    Er informierte sie regelmäßig, und jedes Mal war Rachel erleichtert. Sie lebt noch . Ich habe sie nicht getötet, sagte sie sich immer und immer wieder.
    Der fischförmige Drachen. Connor Whitby, der auf die Straße lief und sie ignorierte. Bleifuß. Pollys rosa Glitzerhelm. Bremsen. Bremsen. Bremsen.
    Connor ging es gut. Er hatte keinen einzigen Kratzer abbekommen.
    Heute Morgen hatte Pater Joe sie angerufen, um ihr zu sagen, dass es keine weiteren Neuigkeiten gebe, außer dass Polly auf der Intensivstation liege und die bestmögliche Versorgung erhalte.
    Rachel hatte ihm gedankt, aufgelegt, um sogleich die Nummer der Taxizentrale zu wählen und sich ein Taxi zum Krankenhaus zu rufen. Sie hatte keine Ahnung, ob sie Pollys Eltern dort sehen würde oder ob die Fitzpatricks sie, Rachel, überhaupt dort sehen wollten. Wahrscheinlich nicht. Aber sie hatte das Gefühl, unbedingt dorthin zu müssen. Sie konnte nicht einfach geruhsam zu Hause sitzen, als wäre nichts passiert.
    Eine der Holztüren, die auf die Intensivstation führten, schwang auf, und Cecilia Fitzpatrick fegte heraus, als wäre sie eine Chirurgin in höchster Eile, ein Leben zu retten. Mit schnellen Schritten lief sie den Flur hinunter, an Rachel vorbei, blieb dann abrupt stehen, starrte sie verwirrt an und blinzelte wie eine Schlafwandlerin, die gerade dabei ist aufzuwachen.
    Rachel stand auf.
    »Cecilia?«
    Vor Cecilia stand eine ältliche, weißhaarige Frau. Sie schien wackelig auf den Beinen zu sein, und instinktiv streckte Cecilia eine Hand nach ihr aus, um sie am Ellbogen zu stützen.
    »Hallo, Rachel.« Plötzlich dämmerte ihr, wer da vor ihr stand. Rachel Crowley, die nette, aber stets reservierte und tüchtige Schulsekretärin. Das jedenfalls hatte sie einen kurzen Augenblick lang in Rachel gesehen, bis der schwere Stein der Erinnerung mit aller Wucht wieder in ihr Bewusstsein einschlug: John-Paul, Janie, der Rosenkranz in Janies Händen. An diese traurige Geschichte hatte sie seit dem Unfall gar nicht mehr gedacht.
    »Ich weiß, ich bin die Letzte, die du im Augenblick hier sehen willst«, sagte Rachel. »Aber ich musste kommen.«
    Cecilia erinnerte sich dumpf, dass Rachel Crowley das Auto gelenkt hatte, das Polly überfahren hatte. Ja, das hatte sie kurz registriert, doch es war von keiner besonderen Bedeutung für sie gewesen. Es war ein kleines, blaues Auto, für Cecilia aber war es wie eine gigantische Naturgewalt – ein Tsunami, eine Lawine. Und die schien von niemandem gelenkt worden zu sein.
    »Es tut mir so leid«, sagte Rachel. »Es tut mir so schrecklich, so entsetzlich leid.«
    Cecilia begriff nicht recht, was sie meinte. Sie war viel zu matt vor Erschöpfung, und Dr. Yues Worte hatten ihr gerade eben einen Schock versetzt. Ihre normalerweise verlässlichen Hirnzellen fuhren Achterbahn, und es kostete sie die allergrößte Mühe, ihre Gedanken einzufangen und festzuhalten.
    Die Person, die das Auto gefahren hat, fühlt sich schrecklich.
    Du musst sie beschwichtigen.
    »Es war ein Unfall«, sagte sie mit der Erleichterung eines Schülers, der einen perfekten Satz in einer fremden Sprache konstruiert.
    »Ich weiß.« Rachel nickte. »Aber …«
    »Polly radelte wie wild hinter Mr. Whitby her«, sagte Cecilia. Die Worte gingen ihr jetzt leichter über die Lippen. »Sie hat nicht auf den Verkehr geachtet.« Sie schloss ganz kurz die Augen und sah vor sich, wie Polly unter dem Auto verschwand. Ihre Lider hoben sich wieder. Ein weiterer perfekter Satz fiel ihr ein. »Du musst dir nicht die Schuld dafür geben.«
    Rachel schüttelte ungeduldig den Kopf und schlug mit der Hand in die Luft, als belästigte eine Fliege sie. Sie fasste Cecilias Unterarm und hielt ihn ganz fest. »Bitte, sag mir eins! Wie geht es ihr? Wie ernst sind … ihre Verletzungen?«
    Cecilia stierte auf Rachels faltige, knochige Hand, die ihren Arm umklammert hielt. Dann sah sie Pollys schönen, gesunden, dünnen Mädchenarm vor sich und spürte einen inneren Widerstand wie eine schwammige Wand. Nein, es war unerträglich. Es konnte einfach nicht sein. Warum nicht ihr, Cecilias, Arm? Er war genauso gut, ein ganz normaler Arm, mit blassen Sommersprossen und kleinen Malen. Sollten sie den doch nehmen, diese Blödmänner, wenn es schon unbedingt ein Arm sein musste!
    »Es heißt, sie würde ihren Arm verlieren«, flüsterte Cecilia.
    »Nein!« Rachels Griff wurde fester.
    »Ich kann nichts dagegen tun. Gar

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