Die Wahrheit eines Augenblicks
sanfte Blick in ihren feuchten Augen wurde sichtbar härter. »Was meinst du damit?«
Cecilia nahm einen säuerlichen Geschmack auf der Zunge wahr und hörte sich selbst zu, wie die Worte aus ihrem trockenen Mund kamen: »Mein Mann hat deine Tochter getötet.«
53
Cecilia saß in der Hocke neben Rachels Stuhl und sprach sanft, aber klar und deutlich. Ihre Augen waren nur wenige Zentimeter von Rachels Gesicht entfernt. Rachel konnte jedes einzelne Wort gut hören, aber sie schien Cecilia nicht recht folgen zu können. Der Inhalt kam nicht bei ihr an. Die Worte glitten an der Oberfläche ihres Bewusstseins direkt wieder ab. Sie fühlte Furcht und Entsetzen, als liefe sie Cecilias Worten verzweifelt hinterher, um irgendetwas von entscheidender Bedeutung zu erhaschen.
»Warte!«, wollte sie rufen, schaffte es jedoch nicht. »Warte, Cecilia! Was sagst du ?«
»Ich habe es erst neulich herausgefunden«, fuhr Cecilia fort. »Am Abend nach der Tupper-Party.«
John-Paul Fitzpatrick. Versuchte Cecilia ihr gerade begreiflich zu machen, dass John-Paul Fitzpatrick Janie ermordet hatte? Rachel ergriff Cecilias Arm. »Du sagst, es war nicht Connor Whitby. Und du weißt ganz sicher, dass es nicht Connor war? Dass er nichts damit zu tun hatte?«
In Cecilias Gesicht stand eine tiefe Betroffenheit. »Ich weiß es ganz sicher. Connor war es nicht. Es war John-Paul.«
John-Paul Fitzpatrick. Virginias Sohn. Cecilias Ehemann, ein stattlicher, blendend aussehender, gut gekleideter, kultivierter Mann. Ein bekanntes, angesehenes Mitglied der Gemeinde. Rachel grüßte ihn immer mit einem Lächeln und einem Winken, wenn sie ihn in den Läden im Ort oder auf einer Schul-Veranstaltung sah. Sein Engagement an der Schule war beispielhaft. Sie sah ihn vor sich: einen Werkzeuggürtel um die Hüfte, eine einfache schwarze Baseball-Mütze auf dem Kopf, einen Rechenschieber in der Hand. Vergangenen Monat erst hatte Rachel beobachtet, wie Isabel sich freudestrahlend in die Arme ihres Vaters gestürzt hatte, als er sie von der Klassenfahrt abgeholt hatte. Die Freude in ihrem Gesicht zu sehen war Rachel sehr nahegegangen, auch weil Isabel Ähnlichkeit mit Janie hatte. John-Paul hatte Isabel im Kreis herumgewirbelt, sodass ihre Beine geflogen waren, wie man das eigentlich mit viel kleineren Kindern macht. Und Rachel hatte einen brennenden Schmerz gefühlt, weil Janie nie eine solche Tochter gewesen war und Ed nie ein solcher Vater. Sich ständig darum zu grämen, was andere Leute von ihnen dachten, war völlig unnötig gewesen. Warum nur hatten sie sich als Eltern so bedeckt gehalten, wenn es darum gegangen war, Janie ihre Liebe zu zeigen?
»Ich hätte es dir sagen sollen«, setzte Cecilia hinzu. »Ich hätte es dir unverzüglich sagen sollen.«
John-Paul Fitzpatrick.
Er hatte so schöne Haare. Ordentliche Haare. Nicht wie Connor Whitby mit seinem ominösen Glatzkopf. John-Paul fuhr ein funkelndes, blitzsauberes Familienauto. Connor hingegen dröhnte auf seinem schmuddeligen Motorrad durch die Gegend. Nein, das konnte nicht sein! Cecilia musste sich irren. Rachel schien nicht imstande zu sein, ihren Hass von Connor auf John-Paul zu verlagern. Sie hasste Connor Whitby schon so lange, selbst, als sie noch nicht sicher gewusst hatte, dass er es war, als sie es nur vermutet hatte. Sie hasste ihn dafür, dass er möglicherweise getan hatte, was er getan hatte. Sie hasste ihn für seine pure Existenz in Janies Leben. Sie hasste ihn dafür, dass er der Letzte war, der Janie lebend gesehen hatte.
»Ich verstehe das nicht«, sagte Rachel. »Hat Janie John-Paul gekannt?«
»Sie führten eine Art heimliche Beziehung. Sie gingen miteinander, wie man das wohl nennen würde.« Cecilia saß immer noch in der Hocke neben Rachel, und alle Farbe, die eben aus ihrem Gesicht gewichen war, stieg nun wieder zurück. »John-Paul war verliebt in Janie, doch Janie hatte ihm gesagt, dass es noch einen anderen Jungen gebe und dass sie sich für den anderen entschieden habe. Und dann … John-Paul hat die Beherrschung verloren.« Die Worte versagten ihr. »Er war siebzehn. In dem Moment sind ihm die Sicherungen durchgebrannt. Klingt, als wollte ich ihn oder das, was er ganz offensichtlich getan hat, entschuldigen. Das will ich nicht, auf gar keinen Fall. Es gibt keine Entschuldigung. Es tut mir so unsagbar leid. Ich muss aufstehen. Meine Knie … Meine Knie tun weh.«
Rachel sah zu, wie Cecilia mit Mühe auf die Beine kam, sich nach einem weiteren Stuhl umsah, ihn
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