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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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damals.«
    »Du wirst ihn nicht so ohne Weiteres dort unterbringen können«, wandte Will verzweifelt ein. »Er ist nicht katholisch!«
    »Wer sagt das?«, sagte Tess. »Er ist katholisch getauft!«
    Felicity öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder.
    »Das klappt schon«, meinte Tess. Sie hatte keine Ahnung, wie schwierig es sich tatsächlich gestalten würde, ihn dort unterzubringen. »Mum kennt Leute in der Kirchengemeinde.«
    Während Tess sprach, stiegen Bilder von St. Angela in ihr hoch, von jener winzigen katholischen Schule am Ort, auf die sie und Felicity gegangen waren. Von Hüpfspielen im Schatten des Kirchturms. Vom Klang der Kirchenglocken. Vom süßlichen Geruch matschiger, im Schulranzen vergessener Bananen. Von Tess’ Elternhaus waren es zu Fuß fünf Minuten bis zur Schule. Das Schulgebäude lag am Ende einer von Bäumen gesäumten Einbahnstraße. Im Sommer bildeten die weit ausladenden Baumkronen ein dichtes grünes Dach, eine Kuppel wie in einer Kathedrale. Jetzt war es Herbst und noch immer warm genug, um schwimmen zu gehen. Die Amberbäume würden ein grüngoldenes Blätterkleid tragen. Und Liam würde auf den unebenen Gehsteigen mit den Füßen durch kleine Pfützen voller Palisanderbaumblätter patschen.
    Einige von Tess’ alten Lehrern unterrichteten noch immer an der St.-Angela-Schule. Viele ehemalige Schulkameraden von Tess und Felicity waren inzwischen selbst Eltern und schickten ihre eigenen Kinder dorthin. Lucy erwähnte ab und zu den einen oder anderen Namen, und Tess konnte es nie so recht fassen, dass ihre Freunde von einst noch immer dort lebten. So wie die ausgesprochen gut aussehenden Fitzpatrick-Jungs, sechs blonde Jungs mit markant klassischen Zügen, die sich so ähnlich sahen, dass man meinen könnte, ihre Eltern hätten sie gleich im halben Dutzend gekauft. Sie hatten derart gut ausgesehen, dass Tess jedes Mal errötet war, wenn sie an einem von ihnen vorbeigegangen war. Und im Gottesdienst war immer einer von ihnen Messdiener gewesen. Der älteste Fitzpatrick, John-Paul, hatte jetzt offenbar drei Töchter, die auch alle die St.-Angela-Schule besuchten.
    Doch konnte sie das wirklich tun? Liam hier von der Schule nehmen und ihn in Sydney an ihrer alten Grundschule anmelden? Es erschien Tess plötzlich unmöglich; als würde sie versuchen, ihn auf eine Zeitreise zurück in ihre eigene Kindheit zu schicken. Einen Moment lang wurde ihr wieder schwindelig. Nein, das würde nicht passieren. Natürlich könnte sie Liam nicht aus der Schule nehmen. Freitag stand sein Meerestierprojekt auf dem Plan. Und Samstag waren die Leichtathletikwettkämpfe der Kleinen. Sie hatte jede Menge Wäsche, die gewaschen werden musste, und einen potenziellen Neukunden, mit dem sie gleich morgen früh einen Termin hatte.
    Doch da bemerkte sie, wie Will und Felicity erneut heimliche Blicke tauschten, und ihr Herz krampfte sich zusammen. Tess sah auf ihre Armbanduhr. Halb sieben. Von oben drang die Titelmelodie dieser unerträglichen Fernsehshow herunter, The Biggest Loser . Liam hatte offenbar von seiner DVD auf das normale Fernsehprogramm umgeschaltet. Er würde gleich anfangen, durch die Programme zu zappen, um irgendetwas zu finden, wo geschossen wurde.
    »Es gibt nichts umsonst!« , schrie jemand aus dem Fernseher.
    Tess hasste die leeren Motivationsphrasen in diesen Shows. »Ich werde uns für heute Abend noch einen Flug buchen!«, sagte sie.
    »Heute Abend?«, fragte Will. »Du kannst Liam nicht heute Abend noch in einen Flieger setzen.«
    »Kann ich sehr wohl. Wir werden den Neun-Uhr-Flug nehmen. Den bekommen wir locker.«
    »Tess«, sagte Felicity. »Das ist übertrieben. Du musst wirklich nicht …«
    »So sind wir euch aus dem Weg«, fiel Tess ihr ins Wort. »Du und Will, ihr könnt dann endlich miteinander schlafen. Nehmt ruhig das Ehebett! Ich habe es heute Morgen frisch bezogen.«
    Andere Gedanken kamen ihr in den Sinn. Weit schlimmere Dinge, die sie sagen könnte.
    Zu Felicity: »Er mag es, wenn du oben bist. Ein Glück, dass du abgespeckt hast!«
    Zu Will: »Na klar hat sie viele Dehnungsstreifen. Schau einfach nicht so genau hin!«
    Aber nein, dazu würde sie sich nicht herablassen. Tess stand auf und streifte ihren Rock glatt.
    »Das wäre es dann. Mit der Agentur müsst ihr jetzt ohne mich klarkommen. Und den Kunden sagt ihr, es gäbe einen Notfall in der Familie.«
    Ein Notfall in der Familie war das allemal.
    Sie schickte sich an, die Reihe von Felicitys halb leeren

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