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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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Der alte Mistkerl.
    Rachel hatte vor ihrer Hochzeit für die Commonwealth Bank wie Lauren gearbeitet, obwohl dieser Zufall nie zur Sprache kam, wenn sie sich über Laurens Arbeit unterhielten. Rachel wusste nicht recht, ob ihr Sohn diese Tatsache im Leben seiner Mutter vergessen oder nie darum gewusst hatte. Oder ob er es einfach nicht so interessant fand. Natürlich war Rachel klar, dass ihr Job als kleine Bankangestellte, den sie gleich nach ihrer Heirat aufgegeben hatte, mit Laurens Superposten nicht vergleichbar war. Rachel verstand nicht einmal, was genau Lauren eigentlich machte. Irgendetwas mit »Projektmanagement«, mehr wusste sie nicht.
    Man sollte meinen, dass jemand wie Lauren, die als Projektmanagerin ein solches Ass war, auch ohne Weiteres dazu in der Lage sein müsste, eine Übernachtungstasche für Jacob zu packen, wenn er am Wochenende bei seiner Großmutter schlief. Aber weit gefehlt. Lauren vergaß immer irgendetwas Wichtiges.
    Keine gemeinsamen Abende mehr mit Jacob. Keine Badewannenzeit mehr. Keine Gutenachtgeschichten. Keine ausgelassenen Tänze im Wohnzimmer zur Musik der Wiggles. Für sie fühlte es sich an, als würde er sterben. Rachel musste sich regelrecht daran erinnern, dass er noch lebendig war und warm und weich auf ihrem Schoß saß.
    »Ja, du musst uns unbedingt in New York City besuchen kommen, Mum!«, sagte Rob. Er klang, als hätte er bereits einen amerikanischen Akzent. Seine Zähne blitzten, als er seiner Mutter ein Lächeln zuwarf. Diese Zähne hatten Ed und Rachel ein kleines Vermögen gekostet. Mit seinen kräftigen, geraden Zahnreihen war er in Amerika genau richtig.
    »Du kriegst den ersten Pass deines Lebens, Mum! Du kannst dir sogar ein wenig von Amerika anschauen, wenn du willst. Unternimm doch eine Busrundreise! Oder … ja, eine von diesen Alaska-Kreuzfahrten!«
    Sie fragte sich manchmal, ob Rob anders aufgewachsen wäre, wären sie beide nicht Welten voneinander getrennt gewesen – getrennt wie durch eine riesige Mauer, die die Zeit in zwei Hälften zerschnitt, vor dem siebzehnten April 1984 und nach dem siebzehnten April 1984. Er wäre vielleicht heute nicht so überschwänglich optimistisch. Nicht ganz so wie ein Immobilienmakler. Aber er war nun mal Immobilienmakler, wohlgemerkt, und insofern war es kaum verwunderlich, wenn er sich auch wie einer benahm.
    »Eine Alaska-Kreuzfahrt würde ich auch gern mal unternehmen«, sagte Lauren. Sie legte ihre Hand auf die von Rob. »Ich habe mir immer vorgestellt, dass wir das mal machen, wenn wir alt und grau sind.«
    Dann hüstelte sie, wahrscheinlich weil ihr einfiel, dass Rachel ja alt und grau war.
    »Wäre sicherlich interessant.« Rachel nahm einen Schluck Tee. »Vielleicht ein bisschen kalt.«
    Ja, waren die beiden denn noch ganz bei Trost? Rachel wollte keine Alaska-Kreuzfahrt unternehmen. Sie wollte auf den Stufen im Garten hinter dem Haus in der Sonne sitzen, für Jacob Seifenblasen in die Luft pusten und sich an seinem Lachen freuen. Sie wollte ihn aufwachsen sehen, Woche für Woche.
    Und sie wollte noch ein Enkelkind. Bald. Immerhin war Lauren neununddreißig Jahre alt! Vergangene Woche erst hatte Rachel Marla erzählt, dass Lauren noch viel Zeit habe, um noch einmal schwanger zu werden. Heutzutage sei man ja eher später dran, hatte sie gesagt. Aber da hatte sie auch noch insgeheim gehofft, jeden Moment die freudige Kunde zu erhalten. Und tatsächlich hatte sie für das zweite Baby schon Pläne geschmiedet (ganz wie eine gewöhnliche Schwiegermutter, die sich einmischt). Sie hatte beschlossen, in Rente zu gehen, wenn das Baby zur Welt kommen würde. Sie liebte ihren Job in der St.-Angela-Schule, aber in zwei Jahren wurde sie siebzig (siebzig!), und sie wurde langsam müde. Sich zwei Tage die Woche um zwei Kinder zu kümmern würde ihr vollauf genügen. So sähe dann ihre Zukunft aus. Sie konnte beinahe das Gewicht des neuen Babys auf ihren Armen spüren.
    Wieso wollte dieses verdammte Mädchen nicht noch ein Baby? Wollten sie Jacob nicht einen kleinen Bruder oder eine kleine Schwester schenken? Was war denn so toll an New York mit all den hupenden Autos und dem Dampf, der ganz seltsam aus Öffnungen in den Straßen hervorquoll? Himmelherrgott, das Mädchen war drei Monate nach Jacobs Geburt schon wieder arbeiten gegangen. Ein Baby schien doch gar keine so große Unannehmlichkeit für sie zu sein.
    Hätte man Rachel am Morgen gefragt, wie ihr Leben denn so sei, so hätte sie es als reich und erfüllend

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