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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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dass Will etwas ruhiger gewesen war als sonst. Doch das hatte Tess darauf geschoben, dass ihm sein Rücken zu schaffen machte. Er war müde. Sie hatten alle hart gearbeitet. Felicity aber war bester Laune gewesen. Sie hatte sichtlich gestrahlt. Tess hatte sich dabei ertappt, wie ihr Blick ein paar Mal an ihr hängen blieb. Felicitys Schönheit war neu und ungewohnt, sodass alles an ihr schön erschien. Ihr Lachen. Ihre Stimme …
    Doch Tess schöpfte keinerlei Verdacht. Törichterweise war sie sich Wills Liebe sicher. Sicher genug, ihre alten Jeans zu tragen, dazu das schwarze T-Shirt, von dem Will einmal gesagt hatte, sie sehe darin aus wie eine Rockerbraut. Sicher genug, um wegen seiner leichten Reizbarkeit zu sticheln. Und später, als sie zusammen die Küche sauber machten, klapste er ihr mit der Ecke eines Geschirrhandtuchs auf den Hintern.
    Felicity sahen sie das ganze Wochenende über nicht, was ungewöhnlich war. Sie habe zu tun, hatte sie gesagt. Es war regnerisch und kalt. Tess, Will und Liam sahen fern, spielten Mensch-ärgere-dich-nicht und backten zusammen Pfannkuchen. Ein perfektes Wochenende. Oder nicht?
    Im Nachhinein war Tess klar, warum Felicity vergangenen Freitagabend so gestrahlt hatte – sie war verliebt!
    Da erhellte Licht den Flur, und die Tür schwang auf. »Was in aller Welt macht ihr denn hier?«, rief Lucy und blinzelte kurzsichtig. Sie trug einen blauen, gesteppten Morgenmantel und stützte sich auf Krücken. Ihr Gesicht war vor Anstrengung und Schmerz verzerrt.
    Tess sah an ihrer Mutter hinunter auf den weiß bandagierten Knöchel und stellte sich vor, wie sie aus dem Schlaf gefahren war, sich aus dem Bett geschleppt und umhergehumpelt war, um Morgenmantel und Krücken zu suchen.
    »Oh, Mum«, murmelte Tess. »Es tut mir so leid.«
    »Was ist denn? Was macht ihr hier?«
    »Wir sind gekommen …« Da schnürte es ihr die Kehle zu.
    »Um dir zu helfen, Grandma!«, rief Liam. »Du hast ja einen kranken Knöchel! Wir sind mitten durch die Nacht geflogen!«
    »Na, das ist ja süß von dir, mein kleiner Liebling.« Tess’ Mutter trat auf ihren Krücken etwas umständlich zur Seite, um die beiden hineinzulassen. »Kommt rein! Kommt! Entschuldigt, dass ich so lange gebraucht habe, um euch aufzumachen, ich hatte ja keine Ahnung, dass diese Krücken so verdammt unpraktisch sind. Ich dachte, ich könnte damit munter drauflosspazieren. Dabei drücken sie in die Armbeuge wie nur was. Liam, geh und mach in der Küche Licht. Es gibt gleich heiße Milch und Zimtpfannkuchen.«
    »Super!« Liam lief in Richtung Küche davon und begann aus irgendeinem unerfindlichen Grund, seine Arme und Beine ruckartig wie ein Roboter zu bewegen. »Ich rechne! Ich rechne! Zimtpfannkuchen … bestätigt!«
    Tess trug die Reisetaschen ins Haus.
    »Tut mir leid«, sagte sie noch einmal, als sie die Taschen im Flur abstellte und ihre Mutter ansah. »Ich hätte anrufen sollen. Tut dein Knöchel sehr weh?«
    »Was ist los?«, fragte Lucy, ohne auf Tess’ Frage einzugehen.
    »Nichts.«
    »Unsinn.«
    »Will …«, hob sie an und stockte.
    Ihre Mutter horchte erschrocken auf, streckte eine Hand nach Tess aus und hatte dabei alle Mühe, nicht den Halt auf den Krücken zu verlieren: »Mein kleiner Liebling.«
    »Brich dir nicht noch einen Knochen.« Tess hielt sie fest, damit sie nicht das Gleichgewicht verlor. Sie konnte ihre Zahnpasta riechen, ihre Gesichtscreme, ihre Seife und den altvertrauten Mum-Geruch, der warm und weich nach Moschus duftete. Im Flur hinter ihrer Mutter hing ein Bild an der Wand, ein gerahmtes Foto, das sie und Felicity mit neun Jahren im weißen Kommunionkleid aus feiner Spitze zeigte, die Handflächen in der traditionellen Erstkommunionhaltung fromm vor der Brust aneinandergelegt. Bei Tante Mary im Hausflur hing das gleiche Foto. Heute war Felicity Atheistin, und Tess bezeichnete sich selbst als »nicht praktizierend«.
    »Los, komm schon, erzähl mir alles!«
    »Will …« Tess hob erneut an. »Und … und …« Sie bekam den Satz nicht zu Ende.
    Ihre Mutter kam ihr zu Hilfe. »Felicity. Habe ich recht? Ja?« Sie hob einen Ellbogen und stampfte mit einer Krücke fest auf den Boden, sodass das Kommunionbild hinter ihr wackelte. »Das kleine Luder.«
    1961. Der Kalte Krieg konnte kälter nicht sein. Tausende Ostdeutsche strömten nach Westen. »Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten«, verkündete der damalige Staatsratsvorsitzende der DDR , Walter Ulbricht, den manche als »Stalins

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