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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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Whitby.«

17
    Rachel erwachte aus einem Traum, der sich auflöste und verblasste, bevor sie ihn zu fassen bekam. Angst und Panik, an mehr konnte sie sich nicht mehr erinnern. Und an irgendetwas mit Wasser. Janie als kleines Mädchen. Oder war es Jacob?
    Sie setzte sich im Bett auf und sah auf die Uhr. Halb zwei in der Nacht. Noch immer roch das ganze Haus nach schaler Vanille. Blöde Duftkerze!, dachte Rachel ärgerlich.
    Ihr Mund war trocken vom Alkohol, den sie auf der Tupper-Party getrunken hatte. Es kam ihr vor, als wären seither Jahre vergangen, nicht Stunden. Seufzend stieg sie aus dem Bett. Es war zwecklos zu versuchen, wieder in den Schlaf zu finden. Sie würde wach sein, bis das erste Licht der Morgendämmerung durchs Fenster fiel.
    Wenig später hatte Rachel das Bügelbrett aufgeklappt und zappte sich mit der Fernbedienung durch die Fernsehprogramme. Sie fand nichts, was sie auch nur ansatzweise interessiert hätte.
    Stattdessen öffnete sie den Schrank unter dem Fernseher und ging ihre Videokassetten durch. Der alte Videorekorder funktionierte noch, sodass sie jederzeit etwas aus ihrer Filmsammlung sehen konnte. »Mum, all diese Filme auf deinen Kassetten gibt’s jetzt auf DVD «, hatte Rob ihr bereits des Öfteren besorgt erklärt, als wäre es etwas Verbotenes, noch immer einen Videorekorder zu benutzen. Rachel strich mit dem Finger an den Hüllen der Videokassetten entlang, doch sie war nicht in der Stimmung für Grace Kelly, Audrey Hepburn oder auch Cary Grant.
    Wahllos zog sie Kassetten heraus, schob sie wieder zurück und stieß plötzlich auf eine, die handschriftlich beschrieben war – und zwar von ihr, von Ed, von Janie und Rob. Offenbar war die Kassette mehrmals überspielt worden. Rachel war schon im Begriff, sie wegzuwerfen, als ihr Blick an den Titeln der Sendungen hängen blieb, die sie in den Achtzigerjahren zusammen gesehen hatten: The Sullivans, A Country Practice, Sons and Daughters . Sah so aus, als hätte Janie sie als Letzte in der Hand gehabt, denn Sons and Daughters hatte sie in ihrer krakeligen Handschrift geschrieben.
    Komisch. Dank Sons and Daughters hatte sie, Rachel, heute Abend das Quiz gewonnen. Sie erinnerte sich daran, wie Janie wie gebannt auf dem Fußboden im Wohnzimmer gelegen und die rührselige Titelmelodie jedes Mal begeistert mitgeträllert hatte. Wie ging die Melodie gleich noch mal? Rachel konnte sie beinahe hören.
    Spontan legte sie die Videokassette in den Rekorder ein und drückte auf Play .
    Sie setzte sich aufs Sofa und sah den Rest einer Margarine-Werbung, die so skurril aufgemacht war und klang, wie es für uralte Fernsehspots so typisch ist. Dann begann Sons and Daughters. In Gedanken sang Rachel den Titelsong mit und war erstaunt, den Text sofort parat zu haben. Seltsam, dass sie ihn ohne Weiteres aus ihrem Unterbewusstsein abrufen konnte! Da war »Pat die Ratte«, der jünger und attraktiver schien, als Rachel ihn in Erinnerung hatte. Das gequälte, schlecht gelaunte Gesicht des männlichen Hauptdarstellers erschien auf dem Bildschirm. Er spielte auch heute noch in Fernsehsendungen mit, hatte die Hauptrolle in irgendeinem Krimi. Sogar das Leben der Stars aus Sons and Daughters schien weitergegangen zu sein . Ihrer aller Leben. Nur die arme Janie war im Jahr 1984 hängen geblieben – für immer.
    Rachel stand auf, um auf Stop und Eject zu drücken, als plötzlich Janies Stimme erklang. »Ist es an?«
    Rachel war wie erstarrt. Ihre Hand stockte mitten in der Bewegung.
    Janies Gesicht füllte den Bildschirm aus; sie blickte geradewegs in die Kamera, fröhlich und keck. Sie hatte grünen Lidschatten und viel zu viel Mascara aufgelegt. An der Seite ihrer Nase saß ein kleiner Pickel. Rachel hatte angenommen, das Gesicht ihrer Tochter in- und auswendig zu kennen, aber anscheinend hatte sie tatsächlich einige Dinge vergessen. Wie etwa die Stellung von Janies Zähnen und die genaue Form ihrer Nase. Und da waren sie wieder. Janies linker Eckzahn stand leicht nach innen. Ihre Nase war ein winziges bisschen zu lang. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, war sie wunderschön, schöner noch, als Rachel sie in Erinnerung hatte.
    Ganz früher hatten sie keinen Videorekorder besessen. Ed war der Meinung gewesen, dass die Geräte ihr Geld nicht wert seien. Das einzige Filmmaterial, das sie von Janie hatten, stammte von der Hochzeit eines Freundes, auf der Janie das Blumenmädchen gewesen war.
    »Janie.« Rachel legte die Hand auf die Mattscheibe.
    »Du stehst

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