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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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zulassen, dass Felicity die Beziehung der beiden zerstörte.
    »Hat er sich gut eingefunden an seinem ersten Tag hier?«, fragte Connor.
    »Ich denke schon«, meinte Tess. Sie spielte mit Cecilias Autoschlüssel. »Nur heute Morgen war er etwas traurig. Er vermisst seinen Daddy. Sein Vater und ich, wir sind … Egal, ich dachte, Liam würde nicht mitkriegen, was um ihn herum so vor sich geht.«
    »Ja, man staunt immer wieder, wie schlau die lieben Kleinen sind«, sagte Connor. Er nahm zwei weitere Bälle aus dem Stoffsack und hielt sie vor seiner Brust fest. »Und im nächsten Moment staunt man dann, wie naiv sie noch sind. Aber wenn es dich beruhigt, das hier ist wirklich eine klasse Schule. Es gibt wohl kaum eine andere Grundschule, in der es so liebevoll und menschlich zugeht. Das liegt an der Schulleiterin. Ein verrücktes Huhn, doch die Kinder kommen für sie immer an erster Stelle.«
    »Muss für dich eine ganz andere Welt sein als die Buchhaltung.« Tess’ Blick folgte den leuchtenden Farbfeldern des Fallschirms, die sich leicht im Wind kräuselten.
    »Ha! Du kennst mich ja noch als Buchhalter«, sagte Connor mit einem weichen Lächeln, als wäre er nach all den Jahren aufs Angenehmste berührt von ihr. »Das habe ich völlig vergessen.«
    Clontarf Beach , dachte Tess plötzlich. Dort hast du mich zum ersten Mal geküsst. Ein schöner erster Kuss .
    »Ist ja auch lange her«, meinte er. Ihr Herz schlug schneller. »Viel mehr weiß ich auch nicht mehr.«
    Viel mehr weiß ich auch nicht mehr  – wie bescheuert klang das denn?!
    »Ach, wirklich?« Connor ging in die Hocke und legte einen der Bälle auf das rote Feld des Fallschirms. Als er sich wieder erhob, maß er sie mit einem stechenden Blick. »Ich weiß noch ganz schön viel.«
    Was meinte er? Dass er noch viele Erinnerungen an ihre Beziehung hatte? Oder einfach nur an die Neunzigerjahre?
    »Ich gehe jetzt besser«, sagte sie. Ihre Blicke trafen sich, und sie schaute schnell weg, als hätte sie etwas völlig Unangemessenes getan. »Dann bin ich dir aus dem Weg.«
    »Gut.« Connor dribbelte mit dem Basketball. »Aber der Kaffee ist gebongt?«
    »Klar.« Tess lächelte unverbindlich. »Viel Spaß – mit diesem Fallschirm, was immer du damit vorhast.«
    »Werde ich haben. Und ich verspreche dir, dass ich Liam im Auge behalten werde.«
    Sie ging los und musste spontan daran denken, wie gern Felicity mit Will zusammen Football schaute. Es war etwas, das sie gemeinsam hatten. Ein gemeinsames Interesse. Tess saß dann immer daneben und las ein Buch, während die beiden vor dem Fernseher mitfieberten und mitschrien. Sie drehte sich um. »Lieber auf einen Drink«, rief sie, und diesmal wandte sie den Blick nicht ab. Es fühlte sich an wie ein körperlicher Kontakt. »Statt Kaffee, meine ich.«
    Connor hob einen der Bälle auf dem Fallschirm mit dem Fußrücken hoch. »Wie wär’s mit heute Abend?«

28
    Cecilia hockte heulend auf dem Fußboden in ihrer Vorratskammer, die Arme um die Knie geschlungen. Sie langte nach einer Schachtel Papiertaschentücher im unteren Regal, riss eines heraus und schnäuzte sich kräftig die Nase.
    Sie wusste gar nicht mehr, was sie in der Vorratskammer eigentlich wollte. Möglicherweise war sie nur deshalb hier, um in der Betrachtung ihrer ordentlich gestapelten Tupperdosen Trost zu finden. Die wohltuende, zweckmäßige Geometrie der ineinandergreifenden Formen auf sich wirken zu lassen. Die blauen, luftdichten Deckel, die alles frisch und knusprig hielten. In Cecilias Vorratskammer gab es keine dunklen Geheimnisse.
    Cecilia roch einen leichten Anflug von Sesamöl. Dabei achtete sie stets sorgfältig genau darauf, dass der Deckel der Sesamölflasche gut abgewischt war, und trotzdem hing immer eine schwache Duftnote in der Luft. Vielleicht sollte sie die Flasche wegwerfen, aber John-Paul liebte ihr Sesam-Hühnchen.
    Na und, wen kümmerte es, was John-Paul schmeckte? Die eheliche Waagschale würde sich sowieso nie mehr einpendeln. Sie hatte ein für alle Mal die Oberhand und das letzte Wort.
    Es klingelte an der Tür. Cecilia keuchte und rang nach Luft. Die Polizei , dachte sie.
    Aber wieso sollte die Polizei ausgerechnet jetzt auftauchen, nach all den Jahren? Nur weil Cecilia nun Bescheid wusste? Ich hasse dich dafür, John-Paul Fitzpatrick, dachte sie, während sie sich auf die Beine rappelte. Ihr Nacken schmerzte. Sie nahm die Flasche Sesamöl und warf sie auf dem Weg zur Haustür in den Abfalleimer.
    Es war nicht die Polizei.

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