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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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würde in Sachen Videoband nichts unternehmen. Sie würden es zu den Akten legen. Wahrscheinlich hatten sie gar keinen Videorekorder mehr, um es anzusehen.
    Rachel blickte wieder auf ihren Computerbildschirm und tippte müde auf den Tasten herum. Achtundzwanzig Jahre hatte sie auf etwas gewartet, das wohl nie passieren würde.

30
    Es war ein Fehler gewesen, sich mit Connor auf einen Drink zu verabreden. Was hatte sie sich dabei gedacht? Die Bar war proppevoll mit jungen, schönen und betrunkenen Menschen. Tess musste sie die ganze Zeit anstarren. Für sie sahen sie alle aus wie Highschool-Studenten, die eigentlich zu Hause sein und lernen sollten, statt sich die Nacht um die Ohren zu schlagen. Connor hatte einen Tisch gefunden, ein glücklicher Zufall, allerdings stand der neben einer Reihe blinkender, piepender Spielautomaten, und aus Connors angespannter Miene las sie ganz deutlich, dass er Mühe hatte zu verstehen, was sie sagte. Tess nippte an einem Glas nicht besonders guten Weins und spürte, wie sie langsam Kopfschmerzen bekam. Ihre Beine taten weh, nachdem sie von Cecilias Haus heute Morgen ein ganzes Stück bergauf heimgelaufen war. Jeden Dienstagabend besuchte sie mit Felicity zusammen einen Fitnesskurs, hatte sonst aber zwischen Arbeit, Schule und Liams Freizeitaktivitäten kaum Zeit für Sport. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie gerade erst einhundertneunzig Dollar ausgegeben hatte für einen Kampfsportkurs, den Liam heute in Melbourne hätte anfangen sollen. Mist, Mist, Mist.
    Was machte sie eigentlich hier? Sie hatte völlig vergessen, wie miserabel die Kneipen in Sydney waren, verglichen mit denen in Melbourne. Deshalb war auch niemand über dreißig da. Wer älter als dreißig war und an Sydneys Nordküste wohnte, trank seinen Wein zu Hause und lag um zehn Uhr abends in der Falle.
    Tess vermisste Melbourne. Sie vermisste Will. Sie vermisste Felicity. Sie vermisste ihr Leben.
    Connor neigte sich vor. »Liam hat eine gute motorische Koordination«, rief er. Verdammt und zugenäht, was soll das denn geben? Ein Eltern-Lehrer-Gespräch?
    Als Tess Liam am Nachmittag von der Schule abgeholt hatte, hatte er fröhlich gewirkt und Will oder Felicity gar nicht mehr erwähnt. Stattdessen hatte er in einem fort geplappert: dass er auf der Ostereiersuche eindeutig der Beste gewesen war, dass er Polly Fitzpatrick ein paar seiner Eier abgegeben hatte, dass Polly bald eine tolle Piratenparty machen würde, zu der alle aus der Klasse eingeladen waren, dass dieses bunte Fallschirmspiel auf dem Sportplatz super lustig gewesen war, dass morgen eine Ostermützen-Parade stattfinden und ihre Lehrerin sich als Osterei verkleiden würde! Tess wusste nicht so recht, ob es an den vielen neuen Eindrücken oder der Unmenge an Schokolade lag, dass er so ausgelassen war, doch für den Moment jedenfalls vermisste er sein altes Leben definitiv nicht.
    »Würdest du dir wünschen, dass Marcus auch hier wäre?«, fragte sie ihn.
    »Nicht wirklich«, antwortete Liam. »Marcus war ziemlich gemein.«
    Am Abend weigerte er sich, an seiner Ostermütze mitzubasteln. Stattdessen fertigte er aus einem alten Strohhut und Stoffresten, die Lucy ihm geschenkt hatte, Papierblumen und einen Stoffhasen, eine eigene, sehr ulkige und hübsche Kreation. Danach aß er sein Abendessen brav auf, sang in der Badewanne und lag um halb acht in tiefsten Träumen. Was auch immer geschehen war, in die Schule in Melbourne wollte er bestimmt nicht mehr zurück.
    »Das hat er von seinem Vater«, seufzte Tess nun. »Die gute motorische Koordination, meine ich.« Sie nahm einen kräftigen Schluck von dem schlechten Wein. Will würde sie nie in so eine Kneipe ausführen. Er kannte die besten Bars in Melbourne: kleine, elegante Lokale mit sanftem Licht, wo man sich am Tisch gegenübersaß und gut unterhalten konnte. Und der Faden riss nie ab. Sie brachten einander immer noch zum Lachen. Alle paar Monate gingen sie aus. Nur sie beide. In eine Theater-Vorstellung, ins Kino oder zum Essen. Sollte es nicht genau so sein? Sollten Ehepartner sich nicht regelmäßig einen netten, zweisamen »kinderfreien Abend« (sie hasste diesen Ausdruck) gönnen?
    An diesen Abenden war Felicity die Babysitterin. Und wenn sie wieder nach Hause kamen, tranken sie noch ein Glas mit ihr und erzählten ihr von ihrem Abend. Manchmal wurde es ziemlich spät. Dann übernachtete Felicity bei ihnen, und sie frühstückten am nächsten Morgen gemeinsam.
    Ja, Felicity war fester Bestandteil dieser

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