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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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»zweisamen« Abende.
    Ob sie dann immer im Gästebett gelegen und sich gewünscht hat, an meiner Stelle zu sein?, fragte Tess sich nun. Ist mein Verhalten gegenüber Felicity unbeabsichtigt, aber dennoch unsagbar grausam gewesen?
    »Was sagst du?« Connor neigte sich vor und sah sie angestrengt an.
    »Das hat er von …«
    »Volle Kanone, jawohl!« Am Spielautomaten herrschte ein lautes Grölen.
    »Du Luder! Du Biest!« Eines der jungen, hübschen Mädchen (Felicity hätte sie als ›tussig‹ bezeichnet) klatschte ihrer Freundin fest auf den Rücken, während der Automat ratterte und rasselte und sich eine wahre Münzenflut in den Ausgabeschacht ergoss.
    »Du heiliges Kanonenrohr!« Ein breitschultriger, junger Typ, der sich mit den Fäusten auf die Brust trommelte wie ein Gorilla, torkelte seitlich an Tess vorbei.
    »He, pass auf, junger Mann!«, sagte Connor.
    »Oh, tut mir leid! Wir haben gerade gewonnen …« Der Typ drehte sich um und strahlte plötzlich über das ganze Gesicht. »Mr.  Whitby ! He, Jungs, das ist mein Sportlehrer aus der Grundschule! Er ist der weltbeste Lehrer überhaupt.« Er streckte Connor die Hand hin.
    Connor stand auf, schüttelte sie und warf Tess einen entschuldigenden Blick zu.
    »Wie zum Henker geht es Ihnen, Mr. Whitby?« Der Typ steckte die Hände in die Taschen seiner Jeans und schüttelte den Kopf, während er Connor betrachtete, den offenbar eine Art väterliches Gefühl überkam.
    »Mir geht es gut, Sam«, sagte Connor. »Und dir?«
    »Wissen Sie was? Ich spendiere Ihnen einen Drink, Mr. Whitby. Wäre mir eine verdammt große Ehre. Im Ernst. Verzeihen Sie meine Ausdrucksweise. Bin ein bisschen besoffen. Was trinken Sie, Mr. Whitby?«
    »Weißt du, was, Sam? Das ist eigentlich eine prima Idee, aber wir wollen gerade gehen.«
    Connors Hand wanderte in Richtung Tess. Sie griff automatisch nach ihrer Tasche, stand auf und nahm wie selbstverständlich Connors Hand, als wären sie schon jahrelang ein Paar.
    »Ist das Mrs . Whitby?« Der junge Mann musterte Tess von oben bis unten und war sichtlich beeindruckt. Er drehte sich zu Connor, zwinkerte ihm verschwörerisch zu und hielt beifällig den Daumen hoch. Dann wandte er sich an Tess. »Mrs. Whitby. Ihr Mann ist eine Legende. Eine absolute Legende. Er hat mir Weitsprung beigebracht, Hockey und Kricket und … und eigentlich alle Sportarten in diesem verfickten Universum. Und wissen Sie was? Deshalb sehe ich heute so sportlich aus, und das bin ich auch, obwohl ich motorisch nicht so geschickt bin, doch Mr. Whitby hat …«
    »Wir müssen los, Sam.« Connor klopfte ihm auf die Schulter. »War schön, dich zu treffen.«
    »Oh, ganz meinerseits, Mann. Ganz meinerseits.«
    Connor führte Tess hinaus in die wunderbar laue Nachtluft.
    »Tut mir leid«, meinte er. »Aber da drin wird man ja ganz verrückt. Und taub. Und dazu noch dieser besoffene ehemalige Schüler von mir, der mir einen Drink ausgeben wollte … Himmel, hilf! Nun, sieht aus, als hielte ich noch immer deine Hand.«
    »Ja, sieht ganz so aus.«
    Was machst du denn da, Tess? Aber sie ließ seine Hand nicht los. Wenn Will sich in Felicity verlieben konnte und Felicity sich in Will, dann konnte sie auch mit einem Exfreund Händchen halten. Warum nicht?
    »Ich weiß, dass ich deine Hände schon damals mochte.« Connor räusperte sich. »Nun, das sollte ich lieber nicht sagen.«
    »Schon gut.«
    Er strich mit dem Daumen ganz sacht über ihre Fingerknöchel.
    Tess hatte vergessen, wie es sich anfühlt, wenn sämtliche Sinne explodieren, wenn der Puls rast, als wäre man nach einem endlos langen Schlaf plötzlich hellwach. Sie hatte vergessen, wie es sich anfühlt – der wohlige Schauer, die Begierde, das weiche Gefühl, wenn das Herz schmilzt. Das alles war nach zehn Jahren Ehe einfach nicht mehr möglich. Jeder weiß das. Das war Teil der Abmachung. Und diese Abmachung hatte sie verbindlich anerkannt. Es war nie ein Problem gewesen. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass sie all das vermisste. Und wenn ihr je dieser Gedanke gekommen war, so hatte sie ihn als kindisch abgetan, als albern – als »gedankliche Funkenflüge«. Was soll’s! Sie hatte ein Kind, um das sie sich kümmern musste, und ein Unternehmen, das laufen musste. Aber du lieber Gott, sie hatte die gewaltige Macht dieser Gefühle vergessen. Alles andere war dagegen unwichtig. Genau das war es wohl, was Will mit Felicity erlebt hatte, während Tess mit dem ach so profanen Eheleben beschäftigt gewesen

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