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Die Wahrheit eines Augenblicks

Die Wahrheit eines Augenblicks

Titel: Die Wahrheit eines Augenblicks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liane Moriarty
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war.
    Connor verstärkte den Druck seines Daumens ganz leicht, und Tess spürte ein unbändiges Verlangen.
    Dass sie Will nie betrogen hatte, lag vielleicht nur daran, dass es ihr an Gelegenheit gemangelt hatte. Doch eigentlich hatte sie keinen ihrer festen Freunde je betrogen. Ihre sexuelle Vita war unanfechtbar. Sie hatte nie einen One-Night-Stand mit einem unpassenden Jungen gehabt, hatte nie im betrunkenen Zustand den Freund einer Freundin geküsst, hatte am Morgen niemals etwas zu bereuen gehabt. Sie hatte immer alles richtig gemacht. Und warum? Wozu? Wen juckte es heute?
    Tess’ Blick ruhte auf Connors Daumen, und sie sah reglos und gebannt zu, wie er zärtlich über ihre Knöchel strich.
    Berlin, Juni 1987: In seiner Rede in West-Berlin sagte der amerikanische Präsident Ronald Reagan: »Generalsekretär Gorbatschow, wenn Sie nach Frieden streben, wenn Sie Wohlstand für die Sowjetunion und die Völker Osteuropas wünschen, wenn Sie die Liberalisierung wollen, dann kommen Sie hierher zu diesem Tor. Herr Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor! Herr Gorbatschow, reißen Sie die Mauer nieder!«
    Sydney, Juni 1987: Andrew und Lucy O’Leary saßen am Küchentisch und sprachen ruhig und mit brutaler Ehrlichkeit miteinander, während ihre zehnjährige Tochter im oberen Stockwerk schlief. »Es ist nicht so, dass ich dir nicht verzeihen könnte«, sagte Andrew. »Vielmehr ist es mir egal. Es ist mir völlig egal.«
    »Ich habe es nur getan, damit du mich ansiehst«, erwiderte Lucy.
    Aber Andrews Augen sahen bereits an ihr vorbei zur Tür hin.

31
    »Wieso gibt’s kein Lamm?«, fragte Polly. »Wir essen immer Lammbraten, wenn Daddy heimkommt.« Missmutig stocherte sie mit der Gabel auf dem verkochten Stück Fisch auf ihrem Teller herum.
    »Wieso hast du denn Fisch zum Abendessen zubereitet?«, wollte auch Isabel wissen. »Daddy hasst Fisch!«
    »Ich hasse Fisch nicht«, widersprach John-Paul.
    »Doch«, sagte Esther.
    »Gut, ist nicht gerade meine Leibspeise«, gab John-Paul zu. »Aber dieser hier schmeckt wirklich sehr gut.«
    »Mm, gar nicht.« Polly legte die Gabel aus der Hand und seufzte.
    »Polly Fitzpatrick, wo bleiben deine Manieren?«, fragte John-Paul. »Deine Mutter hat sich große Mühe damit gegeben …«
    »Lass gut sein!« Cecilia hob die Hand.
    Einen Moment lang herrschte Schweigen am Tisch, da jeder darauf wartete, dass sie weiterredete. Aber Cecilia legte ihre Gabel hin und nahm einen kräftigen Schluck Wein.
    »Ich dachte, du verzichtest in der Fastenzeit auf Alkohol«, bemerkte Isabel.
    Cecilia zuckte mit den Schultern. »Hab’s mir anders überlegt.«
    »Man kann es sich nicht einfach anders überlegen !« Polly war empört.
    »Hattet ihr heute einen schönen Tag?«, erkundigte sich John-Paul.
    Esther streckte die Nase in die Luft und schnupperte. »Das ganze Haus riecht nach Sesamöl.«
    »Ja, ich hatte eigentlich gedacht, es gibt Sesamhühnchen«, meinte Isabel.
    »Fisch ist gut für die grauen Zellen«, sagte John-Paul. »Macht uns schlau.«
    Esther runzelte die Stirn. »Warum sind die Eskimos dann nicht das schlaueste Volk der Welt?«
    »Vielleicht sind sie das ja«, sagte John-Paul.
    »Der Fisch schmeckt scheußlich«, meckerte Polly.
    »Hat ein Eskimo jemals einen Nobelpreis gewonnen?«, fragte Esther.
    Isabel seufzte. »Schmeckt wirklich ein bisschen komisch, Mum.«
    Cecilia stand auf und begann, die noch halb vollen Teller abzuräumen. Ihre Töchter waren verdutzt. »Ihr könnt auch Toast essen.«
    »Nein, schmeckt doch gut!«, protestierte John-Paul und hielt den Tellerrand fest. »Ich finde den Fisch köstlich.«
    Cecilia zog ihm den Teller weg. »Nein, findest du nicht.« Sie wich seinem Blick aus. Seit er wieder zu Hause war, hatte sie ihm nicht mehr in die Augen gesehen. Wenn sie sich ganz normal verhielt, wenn sie einfach weitermachte wie bisher, nahm sie seine Tat dann nicht stillschweigend hin, tolerierte sie? Und verriet Rachel Crowleys Tochter?
    Aber hatte sie nicht ohnehin beschlossen, genau das zu tun? Nämlich nichts. Es wäre kein großer Unterschied, wenn sie John-Paul die kalte Schulter zeigte. Oder glaubte sie wirklich, es würde viel ausmachen?
    Mach dir keine Sorgen, Rachel, ich werde richtig böse und gemein sein zum Mörder deiner Tochter. Kein Lammbraten mehr! Nein, ganz bestimmt nicht! Nie wieder!
    Ihr Glas war leer. Donnerwetter, das ging schnell. Sie nahm die Flasche aus dem Kühlschrank und schenkte sich nach, goss das Glas randvoll.
    Tess und Connor lagen auf dem

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