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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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dumm hält.
    Er legt sich hin und faltet die Hände unter dem Nacken.Draußen vor den gehäkelten weißen Gardinen ist es stockfinster. Svend schnarcht laut, hört dann für einen Moment damit auf und stöhnt stattdessen im Schlaf. Magnus fängt an, die Bahnschwellen zu zählen, und sinkt endlich in einen unruhigen Schlaf, aus dem er erwacht, als Svend sich hereinschlängelt und ein Glas mit dampfendem Tee auf den kleinen Klapptisch stellt, der sich zwischen den beiden Betten befindet. Svend pustet in seinen Tee, den er aus dem Samowar am Ende des Waggons geholt hat, bevor er vorsichtig einen kleinen Schluck trinkt. Magnus hofft, dass der Tee stark und süß ist, und das ist er zum Glück auch.
    »Hast du ein bisschen schlafen können?«, fragt Svend.
    »Ein bisschen.«
    »Du siehst aus wie ausgewrungen.«
    »So fühle ich mich auch. Gut beobachtet, Svend.«
    »Wir müssen dringend was dagegen tun, bevor du deine geliebte Irina wiedersiehst.«
    »Sag mal, machst du dich etwa über mich lustig?«
    »Würde ich niemals wagen, Magnus. Ich habe großen Respekt vor der komplizierten Angelegenheit, die man Liebe nennt. Moskau ist bloß eine ganz andere Welt, und deshalb kann es sein, dass Irina dort ein anderer Mensch ist als der, den du in Spanien gekannt hast.«
    »Du sprichst aus Erfahrung, was? Spielst du damit auf Marie an?«
    Svend nickt. Magnus betrachtet die grünen Augen unter der hohen Stirn seines Reisebegleiters. Svends Haare sind noch immer tiefschwarz. Normalerweise schlägt er den rechten Jackenärmel auf der Höhe seines Armstumpfs um und befestigt ihn mit einer Sicherheitsnadel. Im Moment trägt er nur ein weißes Unterhemd, und Magnus kann das rote Narbengewebe unten am Stumpf und die langen weißen Narben am Oberarm sehen. Er hat sich längst an Svends Kriegsverletzung gewöhnt, und Svendselbst ist kein bisschen schamhaft und lässt sich von seiner Behinderung nicht einschränken. Mit seiner Linken schüttelt er zwei Zigaretten aus dem Päckchen und zündet sie für sich und Magnus an.
    »Vermutlich. Es ist nicht leicht, sie zu lieben«, sagt er dann.
    »Aber du tust es?«
    »Was weiß ich? Ich bin ziemlich verrückt nach ihr, aber was bedeutet es denn, einen anderen Menschen zu lieben? Dass man sich wünscht, ihn zu besitzen? Das tue ich nicht. Das ist es nicht, was ich von Marie will. Wir könnten niemals miteinander verheiratet sein. Wir sind viel zu verschieden. Es würde bestimmt mit Mord und Totschlag enden. Außerdem habe ich auch eine Verantwortung meiner Frau und meinen Kindern gegenüber. Ich wäre ein richtiger Schuft, wenn ich mich, so, wie die Lage derzeit ist, scheiden ließe. Ich erfreue mich an den gestohlenen Augenblicken und dem Genuss und der Zeit, die Marie mir schenkt. Mit Klammeraffen kann deine Schwester sowieso nichts anfangen.«
    »In Albacete hat jemand das Gleiche über Irina zu mir gesagt – er hat genau die gleichen Worte gebraucht.«
    »Da kannst du mal sehen. Aber vielleicht kommst du ja zur Ruhe, wenn du sie erst wiedergesehen hast. Das wäre doch immerhin etwas.«
    »Und vielleicht kannst du in deine Partei zurückkehren? Das wäre doch auch etwas.«
    »Falls ich das überhaupt will.«
    »Ich dachte, darum ginge es dir.«
    »Das tut es vielleicht auch, aber die Sache ist kompliziert, und ich habe eigentlich keine Lust, mit dir darüber zu diskutieren. Du bist nicht der richtige Mann für politische Gespräche, aber um es kurz zu machen, ich finde, die Partei ist auf dem falschen Weg. Die ersten Zweifel sind mir schon in Spanien gekommen, und sie sind vonder Politik Stalins und der Komintern dort und hier in der Sowjetunion nur noch verstärkt worden. Die Prozesse haben überhandgenommen.«
    »Die Politik Stalins? Eurer Bibel zufolge ist er doch unantastbar. Wie kannst du da an ihm zweifeln?«
    »Da kannst du mal sehen. Man hat Stalin zum Gott erhoben. Weder Marx noch Lenin haben mit unfehlbaren Göttern operiert. Stalin ist ein Mensch. Das scheinen die Parteikameraden auf der ganzen Welt vergessen zu haben. Menschen machen Fehler, und Fehler müssen durch kameradschaftliche Diskussionen aus der Welt geschafft werden.«
    »Du fängst langsam an, mich zu langweilen, Svend. Vergiss endlich diese Partei, wenn sie nun mal nichts mit dir zu tun haben will. Fang endlich an, selbst zu denken. Das tut nicht weh.«
    »Das tue ich doch längst. Ich denke in Wirklichkeit viel zu viel nach.«
    »Du bist ein guter Mensch, mein Freund«, sagt Magnus grinsend auf Deutsch. »Und jetzt

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