Die Wahrheit stirbt zuletzt
Wiederholung aus der Reserve locken.
»Ich kenne die Ansichten meines Bruders nicht. Sie sind auch vollkommen unerheblich. Ich will Mads einfach nur nach Hause zurückholen. Politik interessiert mich nicht. Ich habe kein sonderliches Vertrauen in Politiker wo auch immer auf der Welt. In Argentinien wechseln sich zwei politische Gruppierungen damit ab, immer wieder neue grässliche Diktatoren zu stellen. Alle vernünftigen Leute dort haben es aufgegeben, sich einzumischen.«
»In dem Punkt sind wir uns vollkommen einig. Bedenken Sie nur, wie es bei uns zugeht. Bei den Wahlen letztes Jahr haben über vierzig Prozent der Dänen für Stauningund seine Genossen gestimmt. Sie, Herr Meyer, haben sich im Ausland aufgehalten, daher wissen Sie nicht, was für eine Farce das war. Die Menschen haben sich von der banalen Parole ›Stauning oder Chaos‹ verführen lassen. Zum Glück sind die Sozialdemokraten hierzulande keine reinen Bolschewiken, aber sie lassen sich zu sehr von Außenminister Munchs pazifistischer Linkspartei leiten, die dabei ist, dieses Land zu entwaffnen und so unsere Flanken in diesen gefährlichen Zeiten schutzlos zu präsentieren. Ich habe mehrere Leitartikel zu diesem Thema verfasst, aber außerhalb der vernünftigen Kreise interessiert das niemanden, obwohl meine Artikel mehrfach in Teilen der Hauptstadtpresse zitiert wurden. Manchmal kommt man wirklich nicht umhin, wie einer unserer großen Pastoren zu denken, der so zutreffend gesagt hat, dass es die Menschen auch nicht weiter scheren würde, wenn die parlamentarische Demokratie bald feierlich aufgebahrt daläge. Die Zeiten erfordern eine feste Hand und nicht dieses ganze leere Gerede. Herr Hitler geht in Deutschland zu weit, aber er sagt und tut viele richtige Dinge, von denen wir einiges lernen könnten. Aber lernen, das wollen wir ja nicht in diesem Land.«
»Davon bin ich überzeugt, aber im Moment geht es um meinen Bruder. Mein Vater meint, es wäre am besten, wenn ich mich als Journalist akkreditieren ließe.«
Brodersen richtet sich in seinem Stuhl auf. Er spielt an einem Bogen Papier herum, der in der schwarzen Schreibmaschine eingespannt ist. Auf dem Bogen stehen bereits einige Zeilen. Vielleicht ein Entwurf für den morgigen Leitartikel? Magnus kann Brodersen ansehen, dass er erstaunt und etwas verärgert darüber ist, dass Meyer sich nicht auf eine politische Diskussion mit ihm einlässt. Hinter seinem harmlosen Äußeren ist Brodersen ein Manipulator, denkt Magnus. Ein politischer Dompteur, der alle, die ihm über den Weg laufen, in den richtigen Kästenuntergebracht wissen will. Er hat Offenheit und Dankbarkeit von Magnus erwartet, der ihm jedoch nur höfliche Kühle entgegenbringt. Magnus kann Brodersens unterdrückten Ärger deutlich spüren, als er sagt: »Ja. Sowohl Ihr Vater als auch Ihre reizende Schwester haben mich heute Vormittag bereits angerufen. Ich halte es für eine ausgezeichnete Idee, bei der ich Sie gern unterstütze. Wir haben eigentlich weder die finanziellen Mittel noch ein genuines Interesse, einen Korrespondenten nach Spanien zu schicken. Von daher hätte ich im Gegenzug gern ein oder zwei Artikel von Ihnen.«
»Aber ich bin doch kein Journalist.«
»Sie sind in der Welt herumgekommen. Sie können Ihre Augen und Ohren offenhalten. Einer von unseren hiesigen Redakteuren geht die Texte dann durch und bereitet sie für die Zeitung auf. Und es wäre wirklich ein Gewinn für das führende Blatt der Stadt, Augenzeugenberichte aus Spanien zu erhalten. Sie könnten das dringend benötigte Korrektiv zur Propaganda in der Arbeiterzeitung liefern.«
»Ich weiß nicht. Ich habe keine Erfahrung als Journalist.«
»Außerdem ist es wichtig für Ihre Tarnung.«
»Wie meinen Sie das?«
»Man wird Sie wie alle Journalisten und andere Leute, die Fragen stellen, unter die Lupe nehmen. Sie könnten als Spion erschossen werden, ist Ihnen das klar? Schließlich sind Sie in Wirklichkeit ja tatsächlich als eine Art Agent unterwegs.«
»Ich verstehe nicht …«
»Wenn Sie sich auf der Seite der Nationalisten aufhalten, wird man Sie verdächtigen, militärische oder andere Informationen ausspionieren zu wollen. Ihr Bruder kämpft ja für die andere Seite. Und wenn Sie sich bei den Roten aufhalten, könnten die Sie ebenfalls verdächtigen,Ihren Bruder zum Desertieren anstiften zu wollen. Sie werden sich in einer ziemlich gefährlichen Situation befinden, Herr Meyer. Ihre Tarnung ist wichtig. Sie müssen Ihre Rolle spielen. Ihre
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