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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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Keim.
    Magnus wirft den Zigarettenstummel aus dem Fenster und stellt seine kleine Reisetasche auf das Bett. Sie ist braun und abgewetzt und hat zwei kräftige Schnallen, die er jetzt öffnet. Er nimmt den Revolver heraus, schiebt die Trommel mit sicherem Griff zur Seite und überprüft instinktiv, dass er nicht geladen ist. Der Revolver ist schwarz. Da Magnus dafür sorgt, dass er immer gut gereinigt und geölt ist, gleitet die Trommel, in der sechs Patronen Platz haben, jetzt mühelos zur Seite.
    Smith & Wesson hat den perfekten Revolver geschaffen, denkt er, und dass dieser Revolver einen Menschen getötet hat. Zwar nicht kaltblütig, doch höchst bewusst. Er drückt den kalten Lauf gegen seine heiße Stirn und bleibt einen Moment so stehen, bevor er den Revolver in die Tasche zurücklegt.
    Dann geht er in das Zimmer am Ende des Flurs, das einmal Mads gehört hat und das immer noch Mads’ Zimmer genannt wird.
    Im Haus ist es fast ganz still. Es ist ein altes Haus, das schon immer seine eigenen, seltsamen Geräusche gemacht hat, ein Knarren hier, dort ein Balken, der sich senkt, einSeufzen des Windes, das sich in einem verborgenen Winkel fortsetzt. Das Schlafzimmer des Vaters befindet sich ein Stockwerk tiefer, dort hatte die Mutter ebenfalls ein Zimmer, in dem sie ab und zu saß und nähte oder las. Doktor Krause ist in der Gästewohnung im Sanatorium untergebracht, während Marie am anderen Ende des Wohnhauses in einem großen Eckzimmer mit eigenem Balkon schläft.
    Ohne hinzuschauen, lässt er seine Hand über den schwarzen Lichtschalter gleiten und macht die Deckenlampe an. Das Zimmer wirkt, als sei Mads nur kurz spazieren gegangen oder übernachte bei einem Freund. Hier sind die Erinnerungsstücke nicht weggeräumt worden. Alles steht noch genauso da, wie Mads es zurückgelassen hat, und strahlt die Überzeugung aus, dass er in Kürze zurückkehren wird.
    Magnus geht durch das Zimmer und berührt vorsichtig die Sachen seines kleinen Bruders: den Schreibtisch mit der grünen Schreibtischunterlage und der kleinen Reiseschreibmaschine, die das junge Schriftstellertalent zu seinem fünfzehnten Geburtstag bekommen hat, den Füllfederhalter, die Kommode, auf der ein Foto der drei Geschwister steht. Es wurde vor sechs Jahren aufgenommen, erinnert er sich. Arm in Arm stehen sie vor einem ruhigen Meer, das sich endlos weit zu erstrecken scheint, Marie im Badeanzug in der Mitte. Magnus und Mads haben Badehosen an. Alle drei lachen in die Kamera.
    Magnus geht im Zimmer umher und bekommt allmählich wieder seine Atmung unter Kontrolle. Er öffnet den Kleiderschrank. Er ist mehr als halb voll, aber ihm fallen vor allem die nackten Kleiderbügel ins Auge. In den Kommodenschubladen liegt ebenfalls noch jede Menge Kleidung. Das Bett ist mit der blauen Tagesdecke zugedeckt. An der Wand hängen ein Ölgemälde von einer Wüste und ein Schwarzweißfoto, das Mads von einer Winterlandschaftan einer Flussbiegung gemacht und selbst entwickelt und vergrößert hat. Fotografieren war einmal Mads’ große Leidenschaft, erinnert Magnus sich und geht zum Schreibtisch zurück.
    Er zieht die oberste Schublade heraus und findet dort mehrere Schreibhefte. Er öffnet das oberste und sieht Mads’ ordentliche, beinahe kalligrafische Schrift. Trotzdem scheinen die Worte nur so herauszufließen, als er langsam die Seiten mit den Notizen und den Gedichtentwürfen umblättert. Er liest hier und dort ein wenig herum:
    Der Tod wird reiten heut Nacht / über Spaniens rote Höhen / der Tod wird ernten heut Nacht / und ruhig werd ich mitgehen / grob beraubt er meinen Sinn / im Wüstenwind verloren ich bin / der Tod wird kommen heut Nacht / doch leichte Beute er mit mir nicht macht.
    An anderer Stelle heißt es ohne Reim:
    Ich werde heut Nacht im Regen gehen / ich werde fortgehen von dir / nicht aus Trotz / sondern voll Angst vor dem Neuen / ich habe dich heute gesehen / weiß strahlt’ dein Haar in der Sonne / das Frühjahr umglänzte dich / ich sah’s als der arme Bettler / der ich bin / ich werde dich verlassen heut Nacht / ich bin zu elend / um an deiner Seite zu gehen / zu nichtswürdig gar / um mit dem Tod zu reiten.
    Magnus klappt das Heft zu und legt es so vorsichtig auf den Tisch, als wäre es aus feinstem Porzellan. Plötzlich nimmt er eine Bewegung wahr. Er spürt sie fast mehr, als dass er sie hört, und dreht sich um. Es ist Marie. Sie steht in einem langen Morgenmantel in der Tür. Sie trägt die Haare offen und sieht sehr schön und

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