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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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zu Mads bin ich keine Idealistin. Ich bin eine egoistische große Schwester, die am liebsten möchte, dass ihre beiden Brüder zu Hause und in Sicherheit sind. Ich denke nur an mich, Magnus. Ich möchte Mads einfach nur aus diesem Krieg herausholen.«
    »Das ist mir allemal lieber als die Idealisten. Erst versuchen sie es mit Bitten, aber wenn darauf niemand hört, holen sie die Bajonette heraus.«
    »Wie philosophisch. Und wie zynisch. Wird man so in Amerika? Sollen wir Menschen etwa frei von Ideen sein? Frei von Idealen? Ohne den Glauben daran, dass es etwas gibt, das größer ist als wir selbst. Als unser eigenes kleines Ego? Ist es eine derart leere Welt, die du dir wünschst, Magnus?«
    »Du wolltest mir noch eine andere Geschichte zeigen. Die wahre?«
    Sie betrachtet ihn eine Weile. Er lächelt sie an, sagt aber nichts, und sie gibt auf: »Ja. Vielleicht die wahre. Was weiß ich? Es ist eine Art Novelle, die Mads da geschrieben hat, aber sie handelt von ihm selbst. Aber was weißt du eigentlich über den Krieg da unten?«
    »Das, was ich in den Zeitungen darüber lese.«
    »Da steht ja nicht besonders viel drin, ich werde dir also zuerst ein wenig darüber erzählen.«
    Ihre Wangen glühen trotz der Kühle, die aus dem stillen Garten hereindringt. Jetzt ist sie wieder ganz die energische junge Frau, denkt er, als sie zwei Landkarten auseiner Schublade holt, eine von Europa und eine von Spanien, und sie beide auf ihrem Schreibtisch ausbreitet. Als sie auf die Karten deutet und zu erklären beginnt, erinnert ihre Stimme Magnus für einen Moment an eine Deutschlehrerin aus dem Gymnasium, die er eigentlich längst vergessen hat. Er hört zu, betrachtet aber gleichzeitig auch seine große Schwester und muss innerlich über ihren Eifer und ihre Anteilnahme an einer Welt lächeln, die sie nur interessiert, weil ihr geliebter kleiner Bruder ein Teil davon ist.
    »Schau mal, hier«, sagt sie und zeichnet mit ihrem Zeigefinger die Route nach. »Mads und seine beiden Kameraden sind in Esbjerg mit dem Schiff aufgebrochen. Dorthin sind sie mit dem Zug gefahren, und sie mussten ganz schön auf der Hut sein. Die Konservative Jugend und einige der konservativen Journalisten warten nur darauf, die Freiwilligen an die Polizei auszuliefern, sobald sie mit dem Zug aus Kopenhagen in Esbjerg ankommen. Die Zeitungen berichten immer wieder darüber. Mads hat das Linienschiff A. P. Bernstorff nach Antwerpen genommen, von dort aus ist er mit dem Zug weiter nach Le Havre und Paris gefahren. Ihre Leute in Kopenhagen hatten ihnen eine Adresse mitgegeben. Place de Combat numéro neuf, die hatten sie schon zu Hause auswendig gelernt. Dort wurden sie dann von den Leuten der Komintern in Empfang genommen. Inzwischen ist das Ganze sehr gut organisiert, Magnus. Nicht mehr so wie am Anfang, als alles eher chaotisch ablief. Du weißt doch, was die Komintern ist, oder?« Sie schaut zu ihm auf.
    »Kommunisten«, sagt er bloß. Er reicht ihr das Etui und zündet ihr dann die Zigarette an.
    »Ja. Das stimmt schon, aber nicht bloß Kommunisten. Sie werden natürlich von Stalin kontrolliert, aber heute sind die Leute von der Komintern für die gesamte Organisation der Freiwilligen in Spanien zuständig. Sie unterstützenden Volksfrontgedanken. Alle sollen gemeinsam gegen den Faschismus kämpfen. Die Komintern ist eine internationale Organisation, die von der Sowjetunion geleitet wird, aber Mads ist ja kein Kommunist, nicht wahr?«
    »Nein. Er ist bloß ein Narr.«
    »Jetzt hör auf damit, Magnus. Das macht mich nur traurig.«
    »Okay.«
    »Du und dein Okay. Jetzt hör mir zu. Mads hat aus Kopenhagen ein Codewort mitbekommen. Es lautete: ›Ich soll schön von Aage grüßen.‹ Den Satz hat er dann im Rekrutierungsbüro in Paris aufgesagt, woraufhin er ein bisschen Geld und einige Essensmarken und eine Zugfahrkarte bis zur spanischen Grenze bekam. Und dann wurde es richtig hart, hat er mir geschrieben. Mitten in der stockfinsteren Nacht sind sie – eine große Gruppe Männer aus vielen verschiedenen Ländern – über die Pyrenäen gewandert. Sie hatten spanische Führer dabei, die die Gegend kennen, aber es war ein sehr schwieriges Gelände, und sie mussten viele, viele Stunden wandern. Fast zwanzig Stunden, schrieb er. Drei Männer sind unterwegs ums Leben gekommen. Zwei sind in eine Schlucht gestürzt, der dritte ist ertrunken, als sie einen reißenden Fluss überqueren mussten. Sie waren sehr hungrig und durstig. Alles, was man ihnen mitgegeben

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