Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
Vom Netzwerk:
verletzlich aus.
    »Kannst du auch nicht schlafen?«, fragt sie leise, beinahe flüsternd, und kommt ins Zimmer.
    »Ich bin aufgewacht. Ich habe schlecht geträumt.«
    »Manchmal, wenn ich nicht schlafen kann, gehe ichhierher, setze mich auf die Bettkante oder an seinen Tisch und lese seine Gedichte. Dann scheint es fast, als könnte ich ihn spüren. Wir haben oft hier gesessen und geredet. Er saß am Tisch und ich auf seinem Bett, und er hat von seinen Träumen erzählt, oder wir haben ein bisschen über dich geredet oder darüber, in wen wir gerade verliebt sind. Ich vermisse ihn so furchtbar.«
    Er hält ihr das Zigarettenetui hin.
    »Komm, wir gehen in mein Zimmer«, sagt sie und nimmt eine Zigarette.
    Maries Zimmer ist groß. Durch das gekippte Fenster ist deutlich das Geräusch der zischelnden Buchen zu hören. Es ist ein feminin eingerichtetes Zimmer mit einem breiten Bett, dessen aufgeschlagene Bettdecke noch immer Wärme verströmt. Marie hat ebenfalls einen Schreibtisch, einen Kleiderschrank und eine Kommode. Die eine Zimmerecke hat sie mit einem kleinen Teetisch und zwei bequemen Chesterfieldsesseln mit zwei klassischen Stehlampen daneben eingerichtet. Dort kann sie nähen oder lesen, denkt er. Auf dem Tischchen liegt ein Roman mit einem Lesezeichen sowie ein Luftpostumschlag neben einem Aschenbecher mit einem einzelnen Zigarettenstummel.
    Er gibt ihr und sich Feuer, und während er auf den Umschlag deutet, fragt er: »Ist der von Mads?«
    »Ja. Er ist heute mit der Post gekommen. Diesmal ist er nur kurz unterwegs gewesen. Normalerweise braucht die Post aus Spanien sehr lange.«
    »Darf ich den Brief lesen?«
    »Selbstverständlich. Es steht nicht die Wahrheit drin, sondern das, von dem er glaubt, dass ich es gern hören möchte.«
    »Das muss doch nicht unbedingt so sein.«
    »Es ist aber so. Jetzt lies erst einmal diese Zeilen, danach zeige ich dir eine Geschichte von Mads. Er sagt, eshandele sich dabei um Fiktion, aber in diesem Fall ist Literatur wohl wahrhaftiger als die sogenannten echten Briefe oder das, was in den verschiedenen Zeitungen zu lesen ist.«
    »Woher hast du die Geschichte?«
    »Von Svend Poulsen. Das ist der, den du in einigen Tagen treffen wirst, wenn er aus Kopenhagen zurück ist. Er ist in Spanien gewesen und war auch bei den Kämpfen um Madrid dabei, wie ich dir bereits erzählt habe. Er wurde verletzt und daraufhin nach Hause zurückgeschickt. Mads hat ihm den Text geschickt, aber Svend kann ihn in der Arbeiterzeitung nicht veröffentlichen. Ich glaube nicht, dass er überhaupt irgendwo veröffentlicht werden kann. Ich glaube auch nicht, dass Mads wollte, dass ich den Text zu sehen bekomme.«
    Sie drückt ihre Zigarette aus, nimmt den Umschlag und zieht den Brief heraus, hält ihn einen Moment in der Hand und sagt: »Svend möchte dir gern helfen.«
    »Warum eigentlich? Es kann doch nicht in seinem Interesse sein, dass ich einen seiner Kameraden aus dem großen Krieg zurückhole, oder? Schließlich nehme ich damit seinem Heer einen Soldaten weg.«
    »Auf einen mehr oder weniger kommt es nicht an. Er will dir jedenfalls gern helfen. Seine Motive dafür können dir doch eigentlich egal sein. Jetzt lies erst einmal, Magnus.«
    Er nimmt den Brief und liest:
    Spanien, Juli 1937
    Liebe Schwester,
    vielen Dank für die Stiefel. Sie passen perfekt und sind viel besser als die Espadrilles, die man hier sonst bekommt. Ich habe meine Krankheit ziemlich gut überstanden, jedenfallsverglichen mit den anderen. Ein paar Kameraden haben den Typhus nicht überlebt, und einige andere liegen noch immer im Krankenhaus. Die verfluchten Läuse verbreiten diese infame Krankheit, und ich muss Vater dafür danken, dass er uns beigebracht hat, immer auf Reinlichkeit zu achten. Es ist schwer, diesem Teufelsgewürm zu entkommen beziehungsweise es wieder loszuwerden, aber ich tue mein Bestes. Ich kann Dir diesmal nicht so ausführlich schreiben, denn wir können die Post heute noch mitschicken. Nach den schweren Kämpfen sind wir jetzt noch etwa dreißig Skandinavier hier bei Thälmann, die Hälfte davon sind Dänen. Wir sind nicht weit von …«
    Magnus schaut auf. Es folgen einige Zentimeter weißes Papier, wo die Zensur vermutlich eingegriffen hat. Jedenfalls kann er Spuren von Tinte auf dem Weiß erahnen.
    Marie nickt und raucht nervös: »Seine alten Stiefel sind gestohlen worden, und dann hatte er nur noch diese spanischen Stofflatschen. Daher habe ich ihm neue Stiefel geschickt. Ich bin froh, dass sie

Weitere Kostenlose Bücher