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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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»Ich werde nicht mit dir nach Dänemark zurückkehren.«
    »Können wir nicht noch einmal darüber sprechen?«
    »Sie würden mich als Deserteur erschießen.«
    »Du bist doch Freiwilliger.«
    »Wir erschießen jeden Tag Deserteure. Um ausreisen zu können, brauche ich einen ›salvoconducto‹, und einen solchen Passierschein werden sie mir niemals ausstellen. Glaubst du, wir machen das alles hier nur zum Spaß, Magnus? Glaubst du das?«
    »Nein.«
    »Es ist ausgeschlossen, dass sie mich gehen lassen, selbst wenn ich es wollte. Und soll ich etwa meine Kameraden im Stich lassen? Willst du, dass ich Bertil im Stich lasse?«
    »Du brichst Marie das Herz. Sie geht bald zugrunde vor Kummer.«
    Mads steht auf und dreht sich zu Magnus um: »Du darfst Marie nicht benutzen, um mich unter Druck zu setzen.«
    »Ich habe ihr versprochen, dich nach Hause zurückzuholen.«
    Mads lacht höhnisch: »Ihr versprochen! Was geht dich das eigentlich alles an? Und was gehen mich deine Versprechungen an? Glaubst du, ich bin immer noch der kleine Junge von früher? Du bist doch seit Jahren nicht mehr zu Hause gewesen. Ich liebe meine Schwester. Ich weiß, dass ich ihr eine große Freude machen würde, wenn ich das hier aufgäbe, aber das kann ich nicht. Ich bin nicht wie du.«
    »Was willst du damit sagen? Dass ich unsere Schwester nicht liebe?«
    »Warum denkst du, dass ich so bin wie du? Denkst du, ich bin ein Kujon, der seine Kameraden im Stich lässt? Ich weiß, dass du den Schwanz einziehst, wenn es brenzlig wird, aber ich nicht.«
    »Was zum Teufel meinst du damit?« Magnus steht auf und spürt die Wut in sich aufsteigen. Sie stehen einander dicht gegenüber. Er nimmt gar nicht mehr wahr, dass sein kleiner Bruder erwachsen geworden ist. Er spürt das Blut in seinem Kopf rauschen, und es ist unverkennbar, dass auch bei seinem Bruder der Zorn wächst.
    Mads senkt den Blick zuerst. Er tritt einen Schritt zurück, wendet sich zum Fluss um und sagt mit dem Rücken zu Magnus: »Ich denke oft an den Tag, an dem du von zu Hause weggegangen bist. Es war kalt und windig, und zwischendurch zogen Regenschauer über den See hinweg, die die Wasseroberfläche aussehen ließen, als würde Gott gerade Tausende von Silbermünzen hineinwerfen. Ich habe dich und Vater gehört. Ihr habt euch wie üblich angeschrien und euch die schlimmsten Schimpfwörter an den Kopf geworfen. Ich weiß genau, warum ihr gestritten habt. Natürlich wegen mir. Vater hatte mich mal wieder mit Stubenarrest in mein Zimmer gesperrt, und du hast gesagt, ich sei mittlerweile konfirmiert und es müsse endlichSchluss sein damit. Ich hatte gesagt, es mache mir nichts aus. Ich war es gewohnt, in meinem Zimmer alleine zu sein. Meine Einsamkeit hat mich zum Dichter gemacht. Das wusste ich damals natürlich nicht, aber so sehe ich es heute.
    Du hast immer lauter wiederholt, dass jetzt wirklich genug sei. Die Tyrannei müsse ein für alle Mal aufhören. Ich stand vor der Tür meines Zimmers und überlegte, was ich bloß tun könnte, damit ihr endlich aufhört. Marie war ja nicht zu Hause, erinnerst du dich? Sie war in der Schwesternschule. Ich wäre am liebsten zu euch gegangen, aber ich traute mich nicht. Dann war es auf einmal fast still. Der Klang eurer Stimmen veränderte sich. Sie waren jetzt voller Bösartigkeit. Das war noch viel schrecklicher als eure lauten, wütenden Stimmen.
    Plötzlich hörte ich einen Knall. Das war Vater, der dich schlug. Das hatte er schon seit Jahren nicht mehr getan. Du warst ja erwachsen. Stattdessen hatte er dich mit Kälte und Schweigen bestraft. Aber jetzt schlug er dich. Ich hörte mehrere Schläge, überwand meine Angst und öffnete die Tür.
    Vater lag auf dem Fußboden, und sein ganzes Gesicht war blutverschmiert. Du hast ihm die Nase gebrochen, weißt du das eigentlich? Und ihm die Narbe am Ohr verpasst. Mit dem hoch erhobenen Schürhaken standest du ihm gegenüber und wolltest damit auf ihn einschlagen. Du warst im Begriff, ihm damit den Kopf einzuschlagen. Du warst bereit, ihn zu töten. Ich sah es in deinem Gesicht. Ich rief deinen Namen, mehrmals, aber ich konnte nicht zu dir vordringen. Vaters blutiges Gesicht war vor Entsetzen verzerrt.
    Du hast dich zu mir umgedreht und gesagt, ich solle mich zum Teufel scheren. Du hast mich zu Tode erschreckt, Magnus. Was sollte ich tun? Ich war fünfzehn Jahre alt, schmächtig und klein. Ich konnte an deinen Augenablesen, dass du dich in einer anderen Welt befandest – in einer Welt, in der man mordet

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