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Die Wahrheit stirbt zuletzt

Die Wahrheit stirbt zuletzt

Titel: Die Wahrheit stirbt zuletzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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entsichert die deutsche Pistole mit geübtem Griff,dann sichert er sie wieder und überlässt es Magnus, sie selbst zu entsichern.
    Magnus stellt sich mit leicht gebeugten Knien hin, wählt den klassischen beidhändigen Anschlag, visiert das Ziel an und drückt sanft den Abzug, wie der Instrukteur es ihm seinerzeit beigebracht hat. Diesmal bringt der Schuss einige Krähen dazu, gen Himmel zu flattern. Sie können nicht erkennen, wo der Schuss eingeschlagen hat, auf jeden Fall irgendwo neben dem Felsvorsprung.
    Mads stellt sich wieder in Position und schießt. Beim dritten Mal fliegt die Dose herunter. Magnus geht zu ihr hin. Er geht langsam und hat Mads den Rücken zugewandt, der den geladenen Revolver mit ausgestrecktem Arm dicht neben seinem rechten Bein hält. Er stellt die Dose wieder auf und geht zu Mads zurück. Er nimmt wieder die Schießposition ein, und diesmal fliegen Splitter von dem graugelben Felsstück. Erst beim vierten Versuch fliegt auch die Dose, die einmal gepressten Schinken enthalten hat, mit einem Sprung nach rechts.
    Nachdem er sie wieder gesichert hat, gibt Magnus Mads die Luger zurück. »Die restliche Munition sollten wir lieber aufheben«, sagt er.
    Mads reicht ihm seinen Revolver und fragt mit ruhiger Stimme: »Und, Bruderherz? Was wäre, wenn das keine Dose wäre? Könntest du auf einen Menschen schießen?«
    »Wer sagt denn, dass ich es nicht schon getan habe?«
    »Hast du?«
    Magnus wendet den Kopf ab und sagt mit leiser Stimme: »In Argentinien habe ich einen Menschen mit einem Revolver getötet. Es war klar, dass nur einer von uns beiden überleben würde. Er hat mir im Morgengrauen aufgelauert, um mich umzubringen, weil ich mit seiner Schwester im Bett war. Eigentlich dachte ich, er sei mein Freund. Später stellte sich heraus, dass er mich hasste wiedie Pest, weil sein Vater mich so gernhatte. Er glaubte, Don Pedro würde mich mehr lieben als ihn.
    Ich habe gewusst, dass er kommen würde, und habe daher im Halbdunkel in meinem Zimmer auf ihn gewartet. Ich habe die ganze Nacht dort gesessen und auf ihn gewartet. Ich kann mich nicht mehr erinnern, woran ich in der Zeit gedacht habe. Ich habe einfach nur mit meinem Revolver in der Hand dagesessen. Bis zu dem Tag hatte ich damit nur Schlangen und Ratten erschossen. Er kam dann irgendwann zur Tür herein und feuerte Schüsse auf mein Bett ab, aber da lag ich ja nicht. Er schoss, bis beide Läufe seines Jagdgewehrs leer waren. Ich saß auf einem Stuhl in der einen Ecke des Zimmers. Er stand deutlich sichtbar wie eine dunkle Masse in der Tür, sodass es ganz einfach war. Ich schoss ihn dreimal in die Brust. Damit war die Sache erledigt.«
    »War sie das?«
    »In dem Moment, ja. Ich habe nichts gefühlt. Das kam erst viel später. Ich habe von ihm geträumt. Ich träume immer noch von ihm.«
    »Die Toten verlassen dich nie. Sie ziehen dich immer dann zur Rechenschaft, wenn du dein Bewusstsein nicht unter Kontrolle hast.«
    »Du tötest im Krieg, Mads. Das ist etwas anderes.«
    »Sag das mal den Toten, wenn sie nachts kommen mit ihren schreienden, vorwurfsvollen Gesichtern. Du kannst gern versuchen, es ihnen zu sagen, aber sie hören nicht zu. Ich sage ihnen, dass sie wegbleiben sollen, aber sie antworten mir nicht. Ich weiß nur, dass Millionen von Toten in ganz Europa umherziehen werden, wenn wir den Faschismus jetzt nicht stoppen. Daran muss ich einfach glauben.«
    »Bei dir ist es etwas anderes, Mads.«
    Mads legt den Revolver in Magnus’ Hand, bevor er sagt: »Deswegen bist du also aus Argentinien abgehauen?«
    Magnus nimmt den Revolver, lässt die Trommel ausschwenken und leert sowohl die benutzten als auch die unbenutzten Patronen in seine Hand. Er spürt seine nasse Hose und das nasse Hemd und die Jacke, die an seinem Rücken klebt, wo sich das Wasser mit seinem kalten Schweiß vermischt. Er wirft die leeren Patronenhülsen in den Fluss. »Ja, Mads. Deswegen bin ich abgehauen. Ich bin nach New York geflohen, wo ich einige Monate lang für einen Gangster gearbeitet habe, der Don Giacomo heißt. Ich war sein Chauffeur, Bodyguard und Laufbursche in einer Person. Das ist eine Phase meines Lebens, auf die ich nicht besonders stolz bin. Giacomo ist wie alle Gangster in Amerika ein brutaler und niederträchtiger Kerl, von daher war es ein dreckiges und brutales, aber auch sehr gut bezahltes Leben, das ich dort geführt habe. Da drüben haben sie gesagt, ich sei ein ›made man‹. Das ist eine Auszeichnung. Ich war froh, als Marie mir

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