Die Wahrheit über Alice
mit |214| mir reden wollen. Ich plaudere zuerst mit Mum und dann mit Dad, und es dauert fast eine halbe Stunde, ihnen ausführlich zu
erzählen, wie die Prüfungen gelaufen sind. Sie fragen, wann ich sie wieder besuchen kommen kann, und ich sage: Bald. Ich erwähne
Mick mit keinem Wort.
Nach dem Telefonat mit meinen Eltern rufe ich Robbie auf seinem Handy an.
«Klar steht die Einladung noch», sage ich, sobald er sich meldet. «Das ist schließlich mein Geburtstagsgeschenk für dich,
schon vergessen?»
«Okay.» Er lacht. «Cool. Aber wir sind wahrscheinlich nur zu zweit. Ich hab noch nichts von Alice gehört.»
«Dann hab ich dich eben ganz für mich allein. Ich Glückspilz.» Ich sage es nicht, aber ich bin wirklich froh, dass sie nicht
mitkommt. Ich könnte es nicht ertragen, Robbie und Alice zusammen zu sehen, jetzt, da ich weiß, dass sie einen anderen hat.
Ich hätte das Gefühl, bei ihrem Betrug mitzumachen, und ich würde mir herzlos und verlogen vorkommen. Die ganze Situation
wäre für Robbie grenzenlos beschämend. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich ihm das mit Alice erzählen soll oder nicht. Heute
Abend jedenfalls nicht, so viel steht fest. Nicht an seinem Geburtstag.
«Und mein Dad gibt Samstagabend eine Party für mich. Könnt ihr kommen? Du und Mick?»
«Klar. Aber wahrscheinlich erst später. Mick hat ein Konzert. Aber das wird nett. Dann lernt ihr euch endlich kennen.»
«Ich freu mich drauf», sagt er. Aber in seiner Stimme liegt keine große Begeisterung. Er klingt lustlos. Unglücklich. Ich
vermute, dass seine Niedergeschlagenheit etwas mit Alice zu tun hat, und wieder einmal wünschte ich, er könnte sie endlich
vergessen und sich selbst die Chance geben, jemand Neues kennenzulernen.
|215| Wir verabreden uns für sieben Uhr im Restaurant und legen auf. Ich suche die Sachen heraus, die ich anziehen will – Jeans,
Stiefel, rosa Bluse –, und lasse mir ein heißes Vollbad einlaufen. Lange liege ich einfach so in der Wanne. Ich schließe die Augen und denke an
Mick und daran, was für ein Glück das ist, dass unsere Gefühle füreinander gleich stark sind, was für ein Glück es ist, dass
keiner von uns beiden auch nur ansatzweise so ist wie Alice.
Als ich im Restaurant ankomme, sitzt Robbie bereits an einem Tisch an der Wand und hat ein schon fast leeres Glas vor sich
stehen. Er studiert konzentriert die Speisekarte und erschrickt, als ich mich ihm gegenübersetze.
«Hi», sage ich. «Warst du zu früh da?»
«Ja.» Er lächelt. «Der Hunger hat mich hergetrieben.»
Wir unterhalten uns kurz darüber, was wir gemacht haben, und ich erzähle von Mick und meiner neuen Freundschaft zu Philippa
und wie glücklich ich damit bin. Er lächelt und wirkt aufrichtig froh für mich. Er sagt, dass er mir all das gönnt und dass
ich etwas Gutes verdient habe. Und dabei ist er locker und gut aufgelegt. Vielleicht wird er das mit Alice doch ganz gut verkraften.
Vielleicht wird ihre neue Affäre womöglich am Ende doch zu etwas gut sein. Denn jetzt wird er der Wahrheit endlich ins Gesicht
sehen müssen.
Robbie bestellt das Essen, und als es serviert wird, sind die Portionen viel größer, als wir erwartet haben. Wir kämpfen uns
regelrecht durch die Essensberge und zwingen uns, auch dann noch weiterzuessen, als wir satt sind. Wir kichern albern, als
Robbie die Backen aufbläst.
«Das ist absurd», sagt er und schüttelt den Kopf angesichts der Unmengen an Essen, die sich immer noch unangetastet auf dem
Tisch türmen. «Das reicht doch locker für zehn Leute.»
«Ich weiß.» Ich nehme noch ein Scheibchen Hühnerbrust |216| mit den Fingern und schiebe es mir in den Mund. «O Gott, Robbie. Ich bin pappsatt, aber ich kann nicht aufhören. Wenn die
nicht endlich kommen und den Tisch abräumen, platze ich noch. Ich kann mich die nächste Stunde bestimmt nicht vom Fleck rühren.
Es macht dir doch hoffentlich nichts aus, den ganzen restlichen Abend hier zu verbringen, oder?»
Ich schaue zu Robbie hoch und erwarte, dass er lacht und wieder etwas Witziges entgegnet, aber er starrt an mir vorbei, auf
irgendetwas oder irgendwen hinter mir. In seinen Augen ist kein Funken Humor mehr. Stattdessen wirkt sein Gesicht wie versteinert.
Es ist nur noch eine seltsam verzerrte Maske aus Verwirrung und Furcht.
Ich schaue mich um, sehe an den übrigen Tischen aber nur unbekannte Gesichter. Also wende ich mich wieder Robbie zu. «Was
ist?» Ich beuge mich vor und
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