Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert
anderen Richtungen, wenn Sie wissen, was ich meine. Das amerikanische Volk liebt nämlich Segenssprüche. Das gehört zu unserer Kultur. Immer wenn wir zufrieden sind, segnen wir jemanden.«
Wieder drehte er die Augen zum Himmel. »Haben Sie anschließend am Ausgang des Hörsaals einen Schwarzverkauf der Universitätszeitung betrieben?«
»Allerdings, Sir. Aber das war ein Fall von höherer Gewalt, den ich Ihnen hiermit gerne erklären möchte. Sehen Sie, ich gebe mir große Mühe und schreibe Kurzgeschichten für die Zeitung, aber die Redaktion druckt sie immer nur auf den schlechten Seiten. Ich brauchte also ein bisschen Werbung, weil mich sonst niemand liest. Wozu schreiben, wenn einen niemand liest?«
»Ist diese Kurzgeschichte pornografischer Natur?«
»Nein, Sir.«
»Ich würde gerne einen Blick darauf werfen.«
»Aber gern. Das macht fünf Dollar.«
Jetzt ging Pergal in die Luft. »Mr Goldman! Ich glaube, Sie sind sich über den Ernst der Lage nicht im Klaren! Ihre Äußerungen haben die anderen schockiert! Einige Studenten haben sich beschwert! Diese Situation ist höchst unerfreulich für Sie, für mich, für uns alle! Angeblich haben Sie verkündet«, er las von einem Blatt ab, das vor ihm lag, »›ich mag Blowjobs … Ich bin ein guter Heterosexueller und ein guter Amerikaner. Gott segne unseren Präsidenten, den Sex und Amerika.‹ Was um Himmels willen sollte dieser Zirkus?«
»Es ist einfach nur die Wahrheit, Herr Dekan: Ich bin ein guter Heterosexueller und ein guter Amerikaner.«
»Das will ich gar nicht wissen! Ihre sexuelle Ausrichtung interessiert niemanden, Mr Goldman! Und was die abstoßenden Praktiken unterhalb Ihrer Gürtellinie betrifft, gehen die Ihre Kommilitonen überhaupt nichts an!«
»Aber ich habe doch nur auf Professor Queberts Fragen geantwortet.«
Bei diesen Worten blieb Pergal die Luft weg. »Was … Was sagen Sie da? Auf Professor Queberts Fragen?«
»Ja. Er hat gefragt, wer sich gern einen blasen lässt, und als ich die Hand gehoben habe, weil ich es unhöflich finde, nicht zu antworten, wenn man etwas gefragt wird, wollte er wissen, ob ich mir lieber von Jungs oder Mädchen einen blasen lasse. Das ist alles.«
»Professor Quebert hat Sie gefragt, ob Sie sich gern …?«
»Genau. Wissen Sie, Herr Dekan, daran ist Präsident Clinton schuld. Was der Präsident macht, wollen eben alle machen.«
Pergal erhob sich und holte eine Mappe aus seinem Hängeordner. Er setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch und sah mir fest in die Augen. »Wer sind Sie, Mr Goldman? Erzählen Sie mir ein wenig von sich. Ich bin gespannt, woher Sie kommen.«
Ich erklärte ihm, dass ich Ende der 1970er-Jahre in Montclair, New Jersey, als Sohn einer Kaufhausangestellten und eines Ingenieurs zur Welt gekommen war. Mittelklassefamilie, brave Amerikaner. Einzelkind. Glückliche Kindheit und Jugend trotz einer überdurchschnittlichen Intelligenz. Highschool in Felton. Der Fabelhafte . Giants-Fan. Zahnspange mit vierzehn. Ferien bei einer Tante in Ohio, Großeltern in Florida, wegen der Sonne und der Orangen. Alles stinknormal. Keine Allergien, keine auffälligen oder nennenswerten Krankheiten. Lebensmittelvergiftung nach dem Verzehr von Hühnerfleisch im Alter von acht Jahren bei einem Pfadfindercamp. Mag Hunde, aber keine Katzen. Praktizierte Sportarten: Hockey, Joggen und Boxen. Ziel: ein berühmter Schriftsteller werden. Nichtraucher, weil Rauchen Lungenkrebs hervorruft und man morgens beim Aufwachen stinkt. Alkoholgenuss in Maßen. Lieblingsgerichte: Steak und Käsemakkaroni. Gelegentlicher Verzehr von Meeresfrüchten, hauptsächlich bei Joe’s Stone Crab in Florida, obwohl meine Mutter behauptete, das bringe aufgrund unserer Zugehörigkeit Unglück.
Pergal hörte sich meinen Lebenslauf an, ohne mit der Wimper zu zucken. Als ich geendet hatte, sagte er schlicht: »Mr Goldman, hören Sie auf, mich für dumm zu verkaufen. Ich habe mir Ihre Schulakte angesehen. Und ich habe ein paar Telefonate geführt und mit dem Schulleiter der Felton Highschool gesprochen. Er hat mir gesagt, dass Sie ein außergewöhnlicher Schüler waren und auf die größten Universitäten hätten gehen können. Also sagen Sie mir: Was tun Sie hier?«
»Wie bitte, Herr Dekan?«
»Mr Goldman: Wer entscheidet sich schon für Burrows, wenn er nach Harvard oder Yale gehen kann?«
Mein glanzvoller Auftritt im Hörsaal sollte mein Leben von Grund auf verändern, auch wenn er mich um Haaresbreite meinen Studienplatz in
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