Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert

Titel: Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joël Dicker
Vom Netzwerk:
machen. Die Liebe kann sehr schmerzhaft sein. Trotzdem dürfen Sie keine Angst haben, sich fallen zu lassen oder der Liebe zu verfallen, denn die Liebe ist auch etwas sehr Schönes. Aber wie alles Schöne blendet sie einen und tut in den Augen weh. Deshalb weint man oft, wenn es vorbei ist.«
    Von diesem Tag an besuchte ich Harry regelmäßig in Aurora. Manchmal kam ich nur tagsüber aus Burrows, manchmal blieb ich über Nacht. Harry machte einen Schriftsteller aus mir, und ich tat alles, damit er sich weniger einsam fühlte. So pflegte ich in den folgenden Jahren bis zum Ende meines Studiums in Burrows Umgang mit dem Starautor Harry Quebert und verkehrte in Aurora mit dem einsamen Menschen Harry.
    Im Sommer 2002 wurde mir nach vierjährigem Studium in Burrows das Literaturdiplom verliehen. Am Tag der Diplomfeier ging ich mit Harry ein paar Schritte über den Campus, nachdem ich im großen Hörsaal als Jahrgangsbester die Rede gehalten und meine aus Montclair samt Freunden angereiste Familie ergriffen festgestellt hatte, dass ich immer noch Der Fabelhafte war. Wir schlenderten unter den großen Platanen umher, und der Zufall führte uns zum Boxraum. Die Sonne strahlte, es war ein prachtvoller Tag. Harry und ich drehten eine Abschiedsrunde zwischen den Boxsäcken und Ringen.
    »Hier hat alles angefangen«, stellte Harry fest. »Was haben Sie jetzt vor?«
    »Ich gehe nach New York, werde Schriftsteller und schreibe ein Buch. So, wie Sie es mir beigebracht haben. Ich schreibe einen großen Roman.«
    Er lächelte. »Einen großen Roman? Schön langsam, Marcus, Sie haben noch das ganze Leben vor sich. Sie kommen mich doch ab und zu besuchen, oder?«
    »Natürlich.«
    »In Aurora ist immer Platz für Sie.«
    »Ich weiß, Harry. Danke.«
    Er fasste mich an den Schultern und betrachtete mich. »Seit unserer ersten Begegnung sind ein paar Jahre vergangen. Sie haben sich sehr verändert. Sie sind zum Mann geworden. Ich kann es kaum erwarten, Ihren ersten Roman zu lesen.«
    Wir sahen uns lange an, dann fragte er: »Warum wollen Sie schreiben, Marcus?«
    »Keine Ahnung.«
    »Das ist keine Antwort. Warum schreiben Sie?«
    »Weil es mir im Blut liegt … Und weil es das Erste ist, woran ich morgens beim Aufstehen denke. Mehr fällt mir dazu nicht ein. Und Sie? Warum sind Sie Schriftsteller geworden, Harry?«
    »Weil das Schreiben meinem Leben einen Sinn gegeben hat. Falls Sie es noch nicht bemerkt haben: Das Leben hat in der Regel keinen Sinn, es sei denn, Sie bemühen sich, ihm einen zu verleihen, und kämpfen jeden von Gott geschenkten Tag darum. Sie haben Talent, Marcus. Geben Sie Ihrem Leben einen Sinn, lassen Sie sich den Wind des Erfolgs um die Nase wehen. Schriftsteller sein heißt leben.«
    »Und wenn ich es nicht schaffe?«
    »Sie werden es schaffen. Es wird nicht leicht sein, aber Sie werden es schaffen. An dem Tag, an dem das Schreiben Ihrem Leben einen Sinn gibt, sind Sie ein echter Schriftsteller. Und haben Sie bis dahin bloß keine Angst zu fallen.«
    Und es war der Roman, den ich in den beiden darauffolgenden Jahren schrieb, der mich nach ganz oben brachte. Mehrere Verlage rissen sich um das Manuskript, und im Jahr 2005 unterzeichnete ich schließlich gegen ein stattliches Sümmchen einen Vertrag mit dem angesehenen New Yorker Verlag Schmid & Hanson, dessen mächtiger Direktor Roy Barnaski, ganz der weitsichtige Geschäftsmann, mich gleich einen Vertrag über fünf Werke unterschreiben ließ. Das Buch wurde sofort nach seiner Veröffentlichung im Herbst 2006 enorm erfolgreich. Der Fabelhafte von der Felton Highschool war nun ein erfolgreicher Romanschriftsteller, mein Leben veränderte sich auf einen Schlag: Ich war achtundzwanzig, reich, berühmt und begabt. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass Harrys Lektion erst jetzt richtig begann.

27.
    Dort, wo man Hortensien pflanzen wollte
    »Harry, irgendwie bin ich mir nicht sicher, ob das, was ich gerade schreibe, gut ist, ob es etwas taugt …«
    »Ziehen Sie Ihre Shorts an, Marcus, und gehen Sie joggen.«
    »Jetzt? Aber es regnet in Strömen!«
    »Ersparen Sie mir Ihr Gegreine, Sie kleine Mimose. Regen hat noch keinen umgebracht. Wenn Sie nicht den Mut haben, im Regen laufen zu gehen, werden Sie auch nicht den Mut haben, ein Buch zu schreiben.«
    »Ist das auch einer von Ihren berühmten Ratschlägen?«
    »Ja, und zwar einer, der sich an alle Persönlichkeiten richtet, die in Ihnen stecken: an den Mann, den Boxer und den Schriftsteller. Wenn Sie irgendwann Zweifel

Weitere Kostenlose Bücher