Die Wahrheit über Marie - Roman
Laufschritt, mit ostentativer Eile und gespielter Hast traf sie bei ihren Rendezvous ein, zu denen sie nicht selten mit mehr als einstündiger Verspätung erschien), fiel dann doch wieder in ihren normalen Trott zurück und packte träge und verträumt ihre Koffer auf dem ungemachten Doppelbett, stellte Tüten und Taschen nachlässig an die Zimmertür, ohne allerdings auch nur eine davon zuzumachen (Marie machte nie etwas zu, nicht die Fenster, nicht die Schubladen – es war zum Heulen, auch die Bücher machte sie niemals zu, sie drehte sie einfach um, wenn sie ihre Lektüre unterbrach, legte sie offen neben sich auf den Nachttisch).
Während Jean-Christophe de G. in der Hotelhalle auf Marie wartete, regelte er noch letzte Details des Rücktransports des Pferdes. Auf einem Sofa neben der Rezeption saß er in Gesellschaft von vier mit Laptops und elektronischen Terminkalendern ausgestatteten Japanern, die ihm als Ersatz für den entlassenen Trainer und dessen Team zur Verfügung gestellt worden waren, um den Transport des Vollblüters zum Flughafen zu begleiten und die Abwicklung der Zollformalitäten zu überwachen. Die vier Japaner, die alle exakt gleich gekleidet waren, marineblaue Blazer mit dem Emblem eines Sportvereins oder Privatclubs, saßen verschwörerisch um Jean-Christophe de G. herum und reichten sich gegenseitig Formulare und Bescheinigungen, die sie flüsternd miteinander studierten. Der Pferdetransporter parkte vor dem Hotel, man konnte seine langgestreckte, reglose Silhouette durch die großen Glasfenster an der Rezeption sehen, ein mit Aluminiumblech verkleideter Van, der aussah wie der Tourbus eines Rockstars, an der Seite zwei kleine, geheimnisvoll vergitterte Fensterluken, die geriffelte und glänzende Karosserie strahlte hellgolden im Scheinwerferlicht der Hotelauffahrt. Die Heckklappe des Transporters war geöffnet und eine Rampe heruntergelassen worden, damit das Vollblut frische Luft bekam, drei Männer in Lederjacken, Hilfskräfte oder Begleiter, hielten davor Wache, daneben der Fahrer des Wagens, ein alter Japaner im frischgestärkten grauen Arbeitsoverall, oben geöffnet, man sah den Krawattenknoten, der gleichfalls die unmittelbare Umgebung des Hotels überwachte und dabei eine Zigarette rauchte. Da der Aufenthalt länger zu dauern schien als geplant, nutzte man die Gelegenheit, um dem Pferd zu trinken zu geben, einer der eleganten Japaner im marineblauen Blazer war mit einem glänzenden Metalleimer diskret zur Hoteltoilette gegangen, einem nagelneuen Eimer mit eingraviertem Wappen und Initialen, man hätte meinen können, in denselben Farben wie der Transporter, eines seiner Accessoires, Teil seines Arsenals, kam dann mit dem Eimer in seiner mit durchsichtigen antiseptischen Chirurgenhandschuhen geschützten Hand zurück, durchquerte in aller Würde die Hotelhalle und ging mit steifem, zeremonienhaftem Schritt zum Transporter zurück (ohne dass man genau gewusst hätte, ob er nun diesen Eimer in den Hoteltoiletten gefüllt hatte oder ob er nicht vielmehr einen alten Eimer voller Pferdeäpfel und verpisstem Stroh dort geleert hatte, um den Pferdetransporter zu säubern).
Sobald Jean-Christophe de G. Marie die Hotelhalle betreten sah – sie kam gemessenen Schritts, geradeaus nach vorne blickend, mit abwesender Miene und fahlen Augen, im Licht der Hotellüster folgten ihr Hoteldiener auf dem Fuße, die zwei vergoldete Gepäcktrolleys schoben, auf denen sich der bunt zusammengewürfelte Haufen ihres Gepäcks türmte –, beendete er seine kleine improvisierte Gesprächsrunde, sprang übereifrig auf, um ihr entgegenzueilen, und nahm ihr fürsorglich die kleine Plastiktüte mit den Fugu-Sashimi ab. Wir müssen sofort aufbrechen, wir sind sehr in Eile, sagte er zu ihr und hatte keine Ahnung, was er mit der kleinen Plastiktüte mit den Fugu-Sashimi anfangen sollte, die er in der Hand hielt, aber Marie sagte nichts, antwortete nichts, sie ließ sich führen, folgte ihm wortlos zum Ausgang – Marie, die Augen im Vagen, in Rock und schwarzen Stiefeln, ihren langen Ledermantel über dem Arm, dessen Gürtel lose herunterhing und hinter ihr auf dem Boden schleifte. Eine große Mietlimousine japanischer Bauart wartete vor dem Hotel auf sie (mit üppigen cremefarbenen Ledersitzen, kleinen bestickten Deckchen auf den Kopfstützen und automatisch verstellbaren Armlehnen, mit Schaltern bestückt und mit der Aufschrift MAJESTA), mehrere Hoteldiener machten sich eilig am Gepäck zu schaffen und
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