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Die Wahrheit über Marie - Roman

Die Wahrheit über Marie - Roman

Titel: Die Wahrheit über Marie - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frankfurter Verlags-Anstalt
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verstauten den chaotischen, bunt gemischten Haufen von Maries Tüten und Taschen im Kofferraum und auf dem Beifahrersitz, die vier Japaner in den marineblauen Blazern mit Emblem hatten in der Zwischenzeit ihre Sachen zusammengepackt und in einem engen Minibus Platz genommen, der nicht weit davon entfernt geparkt war und auf dessen Türen ein goldenes Monogramm prangte. Es gab derart viele Gepäckstücke auf den Trolleys von Marie, dass die Hotelangestellten noch Gepäck zum Minibus bringen mussten. Die vier in ihre winzigen Sitze gezwängten Japaner sahen zu, wie die Hoteldiener immer mehr Taschen neben sie in dem Minibus aufstapelten, man konnte ihre leidenschaftslosen Silhouetten durch die Fenster sehen, inmitten des anwachsenden Durcheinanders von bebänderten Geschenkkartons, geblümten Papiertüten und rüschenbesetzten Beuteln. Es mussten Anwälte gewesen sein, Juristen jedenfalls, vielleicht Mitglieder eines japanischen Rennsportverbands, einer von ihnen hatte gefärbte Haare und ein elegantes mauvefarbenes Einstecktuch, das aus der Brusttasche seines Blazers herausragte (was ihm einen mehr künstlerischen, unkonventionellen Status verlieh, ein Tierarzt, wer weiß?).
    Der Konvoi hatte sich in Bewegung gesetzt und fuhr in Zeitlupe die Auffahrt des Hotels hinunter, der kleine Minibus vorneweg, gefolgt von der Limousine und dem imposanten Pferdetransporter aus Aluminium, der nur mühsam und mit größter Vorsicht um die Kurven kam. Ohne Zwischenfall kamen sie einige hundert Meter voran, verließen das Verwaltungsviertel von Shinjuku und bogen auf eine breite Straße ab, die zur Autobahn in Richtung Narita Airport führte. Doch schon bald hingen sie mitten in einem Stau fest. Nur noch meterweise ging es weiter, sie waren gefangen im Verkehr, schließlich blieb der Konvoi in der Eintönigkeit eines verregneten Spätnachmittags stecken. Durch das beschlagene Heckfenster der Limousine blickte Marie auf die monumentalen Umrisse des Pferdetransporters aus Aluminium, dessen mächtige Scheinwerfer hell im Regen des sich zum Ende neigenden Tages erstrahlten – der Transporter, der nur noch zentimeterweise vorankam, schaukelte majestätisch-leicht auf der nassen Chaussee, mit knirschenden Reifen, knarrenden Achsen. Marie beobachtete den riesigen, undurchschaubaren und mysteriösen Pferdetransporter hinter ihr im Regen, wie gestrandet mitten im Verkehr Tokios, mit seinen beiden geheimnisvoll vergitterten Luken an den Seiten, hinter denen sich die lebendige, vibrierende und warme Gegenwart eines unsichtbaren Vollbluts erahnen ließ.
    Jean-Christophe de G. hatte seinen Mantel nicht ausgezogen, nicht einmal seinen Schal abgelegt. Tief in seinen Sitz gedrückt, von Marie durch die enorme, automatisch verstellbare Armlehne getrennt, telefonierte er unablässig auf Englisch mit verschiedenen Gesprächspartnern, sein Oberschenkel hüpfte dabei in einem andauernden, kaum wahrnehmbaren Auf und Ab, er schlug hektisch den Takt mit der Schuhspitze, dann beendete er sein Gespräch – ohne indessen das Telefon einzustecken, schon wieder bereit, die nächste Nummer zu wählen –, richtete ein verkrampftes Lächeln an Marie und strich zärtlich, aber ohne Überzeugung mit der Hand über ihren nackten Arm, eher mechanisch, sein Bein wurde immer noch von einer Welle der Nervosität bewegt, die er nicht unterdrücken konnte. Jean-Christophe de G. wusste natürlich, dass die Zollabfertigung im Frachtterminal von Narita Airport um Punkt 19.00 Uhr schließen würde und es keine Mittel und Wege gab, diesen Zeitplan zu beeinflussen (es war ein starrer japanischer Zeitplan), es bestand keine Hoffnung, eine zusätzliche Frist zu bekommen, nicht die geringste Chance auf eine Ausnahme. Anders ausgedrückt, entweder kam das Pferd vor 19.00 Uhr am Flughafen an, und sie konnten das Flugzeug nehmen, oder aber sie hatten Verspätung, und das Pferd würde beim Zoll im Frachtterminal von Narita Airport festsitzen, mit allen nicht vorhersehbaren Folgen, die das haben konnte.
    Obwohl Jean-Christophe de G. davon ausgehen konnte, dass alle Papiere des Pferdes in Ordnung, die Impfzertifikate auf dem neuesten Stand waren und auch die Ausfuhrgenehmigung erteilt worden war, befürchtete er letzte Komplikationen bei der Zollabfertigung, ein nicht erwartetes, in allerletzter Sekunde gefordertes Dokument etwa, und während er Marie seine Befürchtungen mitteilte, tippte er weiter Nummer um Nummer in das Display seines Telefons. In Wirklichkeit – und Marie wurde es

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