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Die Wahrheit und andere Lügen

Die Wahrheit und andere Lügen

Titel: Die Wahrheit und andere Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Arango
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hatte.
    Das entsprach vollständig der Wahrheit. Es existierte keine Lebensversicherung zu seinen Gunsten, sondern nur eine zu ihren, Henry erbte nichts von ihr, denn Martha war nicht reich, sondern er. Sie war auch keine Person des öffentlichen Interesses gewesen, sondern immer nur er. Soweit alles bestens. Dank seiner Erfahrung mit der Lüge und ihrer kleinen Schwester, der Ausrede, konnte Henry darauf vertrauen, dass man ihm glauben würde, solange er log. Nur mit der Wahrheit musste er sparsam und weise umgehen.
    Er legte Marthas verpackte Kleidungsstücke auf die Kücheninsel. Dann verabschiedete er Betty und Moreany, die gemeinsam zum Verlag zurückkehrten. Henry begleitete sie noch zum Jaguar, umarmte beide innig und gleichermaßen intensiv und flüsterte Betty zum Abschied ins Ohr: »Melde den Wagen als gestohlen, ich erkläre dir später alles.« Sie winkte zum Abschied. Sie hat mich in der Hand, dachte Henry und winkte zurück.
    * * *
    Jenssen war ein junger Kriminalist mit bernsteinfarbenem Haar und wasserblauen Augen. Seine Vorfahren waren Wikinger, das sah Henry sofort. Er war athletisch, unverkennbar machte er Kraftsport, seine gepflegte Hand fühlte sich seltsam dick an. Er hatte Henrys Romane gelesen, war ein großer Fan von Besondere Schwere der Schuld und wäre übrigens gerne Gerichtsreporter geworden, aber leider könne er nicht schreiben, wie er sagte. Na, wer kann das schon, dachte Henry.
    Â»Ihre Helden handeln, Herr Hayden«, schwärmte Jenssen schon zur Begrüßung. »Ständig passiert was. Und nie weiß man, was als Nächstes kommt. Seltsame Dinge, dunkle Geheimnisse hinter allem, überall lauern Gefahren und wirklich kluge Feinde.«
    Henry fand ihn sogleich sympathisch. Die Kollegin, die immer einen halben Schritt hinter ihm stand, fand er nicht so nett. Sie war dürr und offensichtlich unqualifiziert, denn sie kannte keinen von Henrys Romanen.
    Â»Haben Sie ein Foto von Ihrer Frau?«, fragte sie, ohne eine Spur von Sympathie oder Verständnis zu zeigen.
    Henry ging in sein Arbeitszimmer und brachte ein gemeinsames Urlaubsfoto von Martha und ihm aus Portugal mit. Die Polizistin betrachtete es lang, als wolle sie hineinkriechen. Ihr spitzes Gesicht mit den engen Augen unter den bartartig zusammengewachsenen Brauen erinnerten Henry an ein Opossum. Vielleicht konnte er sie bei Gelegenheit mit dem Marder in seinem Dach verkuppeln, das könnte interessante Kinder ergeben. Die Silbersträhnen in ihrem dunklen Haar legten den Schluss nahe, dass sie infolge des professionellen Misstrauens stark übersäuert war.
    Sie reichte das Foto an Jenssen weiter und zog prüfend den Geruch der Raumluft ein, was Henry irritierend fand. Filterte sie etwa die Moleküle von Schuld und Angst aus der Luft, die von ihm ausgingen? Jeder Hund riecht Angst, mancher sogar Epilepsie oder Krebs. Warum nicht Schuld? Solche Emissionen schweben doch sicherlich um jeden, der sich vor Entdeckung oder Strafe fürchtet. Glücklicherweise gibt es bis heute keine Apparate, die fein genug sind, solche Moleküle zu messen. Das kann aber noch kommen.
    Henrys Verdacht verstärkte sich, als die Frau sich in der Küche über Marthas eingepackte Kleidungsstücke beugte, um sie zu beschnüffeln.
    Â»Welche Farbe hat ihr Badeanzug?«
    Â»Blau. Was riechen Sie?«, fragte er.
    Â»Können wir das mitnehmen?«, kam als Antwort.
    Â»Bekomme ich sie denn wieder? Es sind sehr private Stücke.«
    Â»Wie oft ging Ihre Frau im Meer schwimmen?«
    Ihre Art, nicht auf seine Fragen zu antworten, ging Henry auf die Nerven. »Meine Frau geht jeden Tag schwimmen. Selbst bei Schnee im Winter. Sie ist eine phantastische Schwimmerin. Schwimmen Sie auch?«
    Â»Kennen Sie das Meer hier?«
    Â»Nur vom Sehen. Ich geh da nicht rein.«
    Jenssen ließ jetzt seine nautischen Kenntnisse einfließen, zweifellos ein Erbe seiner Vorfahren, und beschrieb die starken Nordwestströmungen. Nach Badeunfällen würden oft noch Schuhe angeschwemmt, besonders Plastikschuhe, bis nach Grönland trieben die, bisweilen sei noch ein Fuß drin. Henry erinnerte sich, Obradin hatte ihm erzählt, dass er gelegentlich herrenlose Schuhe auf dem Meer treiben sah. Obradin fiel ihm ein. Warum war er nicht gekommen, um ihm zu kondolieren?
    Â»Ihre Frau trug aber keine Badeschuhe, als sie ins Wasser ging.«
    Das Opossum deutete mit dem dürren

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