Die Wahrheit
Telefon. Sie versuchte, sich von der Auskunft Riders Privatnummer geben zu lassen, doch die war nicht eingetragen. Enttäuscht und ratlos legte Sara auf. Sie mußte unbedingt mit diesem Mann sprechen. Sie dachte kurz nach. Die Zeit war knapp, also gab es nur eine Möglichkeit. Auf dem Schreibtisch lag ein Telefonbuch, in dem Sara eine Nummer nachschlug. Nach wenigen Minuten hatte sie alles arrangiert. Sie und Fiske mußten noch eine Zeitlang auf dem Empfang bleiben. Mit ein bißchen Glück würden sie aber morgen früh wieder zurück sein.
Als Sara zu den anderen Gästen zurückkehren wollte und die Tür des Arbeitszimmers öffnete, stand Elizabeth Knight vor ihr.
»Jordan hat mir gesagt, daß Sie vielleicht hier sind.«
»Ich mußte telefonieren.«
»Verstehe.«
»Tja, dann will ich mal wieder zur Party zurück.«
»Sara, ich muß kurz unter vier Augen mit Ihnen sprechen.«
Elizabeth Knight bedeutete ihr, zurück ins Arbeitszimmer zu gehen, und schloß dann die Tür hinter ihnen. Die Richterin trug ein schlichtes weißes Kleid mit einem geschmackvollen Saphirkollier und hatte kaum Make-up aufgelegt. Das weiße Kleid ließ ihre Haut noch blasser erscheinen. Doch sie trug das Haar offen; die dunklen Strähnen sahen auf dem weißen Stoff des Kleides wunderschön aus. Wenn sie sich die Mühe macht, ging es Sara durch den Kopf, kann Elizabeth Knight eine attraktive Frau sein. Offensichtlich wählte sie solche Anlässe mit großer Sorgfalt aus. Im Moment jedoch schien Elizabeth Knight sich sehr unbehaglich zu fühlen.
»Stimmt etwas nicht?« fragte Sara.
»Ich mische mich nicht gern in das Privatleben meiner Mitarbeiter ein, Sara, wirklich nicht, aber wenn der Ruf des Gerichts auf dem Spiel steht, halte ich es für meine Pflicht, mich dazu zu äußern.«
»Ich weiß nicht, ob ich Sie richtig verstehe .«
Elizabeth Knight sammelte kurz ihre Gedanken. Seit ihr klar geworden war, daß sie - wenn auch unwissentlich - Steven Wright zum Tode verurteilt hatte, lagen ihre Nerven bloß. Am liebsten hätte sie auf jemanden eingeschlagen, um ihrem hilflosen Zorn Luft zu machen, mochte es noch so verrückt und ungerecht sein. Es war völlig untypisch für sie, aber sie hatte sich über Sara Evans geärgert. Und ihr lag etwas an der jungen Assessorin. Und deshalb würde Sara den Zorn der Richterin zu spüren bekommen. »Sie sind eine sehr kluge Frau. Eine sehr attraktive und kluge junge Frau.«
»Ich befürchte, ich verstehe noch immer nicht .«
Der Tonfall Elizabeth Knights veränderte sich. »Ich spreche von Ihnen und John Fiske. Richard Perkins hat mir mitgeteilt, daß er gesehen hat, wie Sie und Fiske heute morgen zusammen Ihr Haus verlassen haben.«
»Richterin Knight, bei allem gebührenden Respekt, das ist meine Angelegenheit.«
»Es ist mit Sicherheit mehr als Ihre persönliche Angelegenheit, Sara, wenn es ein schlechtes Licht auf das Gericht wirft.«
»Inwiefern? Das verstehe ich nicht.«
»Dann will ich versuchen, es Ihnen zu verdeutlichen. Glauben Sie nicht, daß es dem Ansehen des Gerichts schaden würde, wenn bekannt wird, daß eine der Assessorinnen mit dem Bruder ihres ermordeten Kollegen schläft - und das einen Tag, nachdem der Mord entdeckt wurde?«
»Ich habe nicht mit ihm geschlafen«, sagte Sara energisch.
»Darauf kommt es gar nicht an. Die öffentliche Meinung wird mehr vom Schein als vom Sein bestimmt, besonders in dieser Stadt. Was glauben Sie, wie die Schlagzeile lauten würde, wenn ein Zeitungsreporter gesehen hätte, wie Sie und Fiske heute morgen Ihr Haus verlassen haben? Selbst wenn der Reporter nur seine tatsächlichen Beobachtungen wiedergegeben hätte ... was glauben Sie, wie die Leser seiner Zeitung den
Artikel aufnehmen würden, auch wenn es sich dabei um bloße Fakten gehandelt hätte?« Als Sara nicht antwortete, fuhr Elizabeth Knight fort: »Zur Zeit können wir keine zusätzlichen Komplikationen gebrauchen, Sara. Wir haben schon mehr als genug, mit denen wir uns befassen müssen.«
»Das habe ich wohl nicht richtig durchdacht.«
»Aber genau das müssen Sie tun, wenn Sie mehr als nur eine durchschnittliche Karriere als Anwältin anstreben.«
»Es tut mir leid. Ich werde den Fehler nicht noch einmal machen.«
Elizabeth Knight musterte Sara hart; dann öffnete sie die Tür. »Bitte sorgen Sie dafür. Ach ja, Sara«, fügte sie hinzu, als ihre Assessorin an ihr vorbeiging, »bis die Identität des Mörders zweifelsfrei ermittelt wurde, würde ich in niemanden vollständiges
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