Die Wahrheit
Vertrauen setzen. Vielleicht wissen Sie es nicht, aber ein hoher Prozentsatz aller Morde wird von Familienangehörigen begangen.«
Erstaunt drehte Sara sich zu ihr um. »Sie wollen doch nicht etwa andeuten ...«
»Ich deute gar nichts an«, sagte Elizabeth Knight scharf. »Ich teile Ihnen nur eine Tatsache mit. Machen Sie damit, was Sie wollen.«
Gelangweilt schlenderte Fiske durch das Zimmer, als er plötzlich spürte, daß jemand hinter ihm stand.
»Ich wollte Ihnen die ganze Zeit schon eine Frage stellen.«
Fiske drehte sich um. Agent McKenna schaute ihn an.
»McKenna, ich überlege ernsthaft, Sie zu verklagen, also ziehen Sie Leine.«
»Ich tue nur meinen Job. Und jetzt würde ich gern wissen, wo Sie waren, als Ihr Bruder ermordet wurde.«
Fiske trank sein Glas Wein aus und schaute dann zu der breiten Reihe der Fenster hinüber. »Haben Sie nicht etwas vergessen?« »Und was?«
»Man hat die Todeszeit noch nicht bestimmt.«
»Sie sind nicht ganz auf der Höhe der Ermittlungen.«
»Ach ja?« fragte Fiske und versuchte, sich seine Bestürzung nicht anmerken zu lassen.
»Zwischen drei und vier Uhr am Samstagmorgen. Wo waren Sie zu dieser Zeit?«
»Verdächtigen Sie etwa mich, meinen Bruder erschossen zu haben?«
»Ich werde es Sie wissen lassen, falls und wann Sie zum Verdächtigen werden.«
»Ich habe an dem betreffenden Samstagmorgen bis vier Uhr in meiner Kanzlei in Richmond gearbeitet. Jetzt werden Sie mich bestimmt fragen, ob jemand das bestätigen kann, nicht wahr?«
»Kann es jemand bestätigen?«
»Nein. Aber ich war um zehn Uhr an diesem Morgen im Waschsalon.«
»Richmond ist nur zwei Autostunden von Washington entfernt. Sie hätten genug Zeit gehabt.«
»Also vertreten Sie die Theorie, daß ich nach Washington gefahren bin, kaltblütig meinen Bruder ermordet und seine Leiche in einem hauptsächlich von Schwarzen bewohnten Viertel aus dem Wagen geworfen habe, und zwar so geschickt, daß niemand es bemerkt hat, und dann nach Richmond zurückgefahren bin und meine Unterwäsche gewaschen habe? Und was ist mein Motiv?«
Fiske hatte den letzten Satz kaum ausgesprochen, als ihm der Atem stockte. Er hatte das perfekte Motiv: fünfhunderttausend Dollar von einer Lebensversicherung. Scheiße!
»Motive kann man auch später finden. Sie haben kein Alibi, und das heißt, Sie hatten Gelegenheit, den Mord zu begehen.«
»Dann glauben Sie, ich hätte auch Wright ermordet? Vergessen Sie nicht, daß Sie selbst den Richtern gesagt haben, Sie glauben an einen Zusammenhang zwischen beiden Morden. Und für den zweiten Mord habe ich ein Alibi.«
»Nur weil ich etwas gesagt habe, heißt das noch lange nicht, daß es auch stimmt.«
»Faszinierend. Nehmen Sie diese Philosophie auch mit in den Zeugenstand?«
»Ich habe herausgefunden, daß es im Verlauf einer Ermittlung nicht immer gut ist, seine Karten auf den Tisch zu legen. Die Morde könnten überhaupt nichts miteinander zu tun haben
- und das bedeutet, das Alibi, das Sie für den Mord an Wright haben, ist wertlos.«
Während Fiske dem davonschreitenden FBI-Agenten hinterherschaute, stieg ein sehr beunruhigendes Gefühl in ihm auf. Nicht einmal McKenna würde so dumm sein, ihm den Mord an seinem Bruder in die Schuhe schieben zu wollen, oder? Und warum hatte er nichts von dem Autopsie-Ergebnis gewußt, das die Todeszeit seines Bruders eingrenzte? Diese Frage konnte Fiske sich auf Anhieb selbst beantworten: Der Informationsfluß von Chandler war ausgetrocknet.
»John?«
Fiske drehte sich um und sah Richard Perkins ins Gesicht.
»Haben Sie einen Augenblick Zeit für mich?« fragte Perkins nervös. Die beiden gingen in eine Ecke des Zimmers. Perkins schaute kurz aus dem Fenster, als wolle er sich zurechtlegen, was er nun sagen würde. »Ich bin erst seit zwei Jahren Marshal am Obersten Gerichtshof. Es ist ein großartiger Job. Er bringt mir Ansehen, ich habe nicht allzuviel Streß, und die Bezahlung ist auch in Ordnung. Ich habe fast zweihundert Angestellte unter mir, aus allen möglichen Berufen, vom Friseur bis zum Polizisten. Vorher habe ich beim Senat gearbeitet. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, bis zum Erreichen des Ruhestandes dort zu bleiben, aber dann ergab sich diese Gelegenheit.«
»Schön für Sie«, sagte Fiske, fragte sich aber, warum Perkins ihm das alles erzählte.
»Obwohl Ihr Bruder nicht im Gerichtsgebäude gestorben ist, habe ich mich für seine Sicherheit verantwortlich gefühlt. Und nicht nur für seine, sondern für die
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