Die Wahrheit
Buchhaltungsunterlagen und so weiter darin gefunden.«
»Eine Lebensversicherung über eine halbe Million«, murmelte Chandler. Er blätterte die Seiten schnell durch, überflog das Fachchinesisch, bis er am Ende auf die spezifischen Angaben stieß.
»Michael Fiske war der Versicherte.«
McKenna stieß plötzlich mit dem Finger auf den unteren Rand der Seite. Chandler erbleichte ein wenig, als er die Zeile las, auf die McKenna so nachdrücklich gezeigt hatte. »Und John Fiske ist der Hauptnutznießer.«
Die beiden Männer schauten sich an. »Haben Sie Lust zu einem kleinen Spaziergang? Dann erläutere ich Ihnen mal meine Theorie.«
Chandler wußte nicht genau, was er tun sollte.
»Es dauert nicht lange«, fügte McKenna hinzu. »Einige meiner Gedanken gehen Ihnen wahrscheinlich gerade selbst durch den Kopf.«
Schließlich zuckte Chandler die Achseln. »Sie haben fünf Minuten.«
Die beiden Männer traten hinaus auf den Bürgersteig vor dem Reihenhaus. McKenna blieb kurz stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden, und bot dann Chandler auch eine an. Der Detective hielt sein Päckchen Kaugummi hoch. »Entweder ich habe Übergewicht, oder ich rauche. Ich esse gern, also haben wir das geklärt.«
Sie schlenderten die dunkle Straße entlang. »Ich habe herausgefunden«, begann McKenna, »daß Fiske für die wahrscheinliche Tatzeit kein Alibi hat.«
»Könnte zu seinen Gunsten sprechen. Hätte er seinen Bruder umgebracht, hätte er wahrscheinlich versucht, sich eins zu verschaffen.«
»Ich bin aus mehreren Gründen anderer Ansicht. Erstens hat er wahrscheinlich gar nicht damit gerechnet, daß man ihn verdächtigt.«
»Bei einer Lebensversicherung über eine halbe Million Dollar?«
»Vielleicht glaubte er, wir würden es nicht herausfinden. Wir ermitteln in eine andere Richtung, und das war’s dann. Er wartet eine Weile; dann kassiert er das Geld.«
»Ich weiß nicht. Und der zweite Grund?«
»Wenn Fiske ein perfektes Alibi hätte - was es nicht gibt, wenn man schuldig ist -, würde es irgendwann, irgendwie platzen. Warum sich also erst die Mühe machen? Er war Cop und ist jetzt Anwalt. Er kennt sich mit Alibis aus. Er behauptet einfach, daß er kein Alibi hat, und braucht sich keine Sorgen zu machen, daß es irgendwann platzt. Und dann hofft er darauf, daß alle dieselbe Schlußfolgerung ziehen wie Sie - daß er sich ein gutes Alibi besorgt hätte, wenn er wirklich schuldig wäre.«
McKenna zog lange an der Zigarette und schaute zu den wenigen Sternen hoch, die am Himmel standen. »Also hat er ein Motiv und auch die Gelegenheit, wie er selbst gesteht. Ich habe ihn überprüft. Er hat eine kleine, beschissene Kanzlei in Richmond und verteidigt den Abschaum der Menschheit. Er ist ein bestenfalls drittklassiger Anwalt. Mitte Dreißig, ledig, keine Kinder, wohnt in einem Drecksloch. Ein echter Verlierer. Ach ja, und er ist unter ziemlich undurchsichtigen Umständen aus dem Polizeidienst ausgeschieden.«
»Wie meinen Sie das?« fragte Chandler scharf.
»Sagen wir einfach, es hat einen Schußwechsel gegeben, der nie vollständig aufgeklärt wurde. Aber danach waren ein Zivilist und ein Polizeibeamter tot.«
Chandler schaute erschüttert drein, erholte sich aber rasch wieder. »Und warum kommt er dann hierher und bietet mir seine Hilfe bei der Ermittlung an?«
»Eine weitere Tarnung. Fiske will damit sagen: >Wie könnte ich abgedrückt haben? Ich reiße mir hier oben den Arsch auf, um die Person zu finden, die meinen Bruder ermordet hat.<«
»Und wie erklärt das Wrights Tod?«
»Wieso muß es das? Wie Sie selbst sagten - vielleicht haben die beiden Morde gar nichts miteinander zu tun. Wenn ich Fiske wäre, würde ich in diesem Fall auf den fahrenden Zug springen und behaupten, es gäbe einen Zusammenhang. Denn für den Mord an Wright hat er ja ein Alibi.«
Schon wieder Sara Evans, dachte Chandler.
»Wenn wir also glauben, daß die Morde etwas miteinander zu tun haben«, fuhr McKenna fort, »ist Fiske aus dem Schneider.«
»Und Sara Evans? Haben Sie die vergessen? Sie behauptet, sie habe jemanden aus Michael Fiskes Haus laufen sehen. Wollen Sie behaupten, daß Evans ebenfalls lügt?«
McKenna blieb stehen, und Chandler tat es ihm gleich. Der FBI-Agent zog ein letztes Mal an seiner Zigarette und trat sie dann mit mehreren Drehungen des Fußes auf dem Bürgersteig aus. »Sara Evans lügt ebenfalls«, wiederholte er Chandlers Worte und musterte den Detective genau.
Chandler schüttelte den Kopf. »Jetzt
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