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Die Wahrheit

Die Wahrheit

Titel: Die Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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Stufen auf einmal und schloß die Tür zur Kanzlei auf. Sie befand sich in einem höhlenartigen Gebäude, das früher ein Lagerhaus für Tabak gewesen war; seinen Eingeweiden aus Eiche und Kiefer hatte man neue Rippen aus Trockenmauern verpaßt und auf diese Weise zahlreiche Büroräume geschaffen. Doch der Geruch der Tabakblätter schien sich ewig zu halten. Und nicht nur hier. Wenn man auf der Interstate 95 in Richtung Süden fuhr, an der Zigarettenfabrik Philip Morris vorbei, bekam man fast eine Nikotinvergiftung, ohne sich auch nur eine einzige Fluppe anzuzünden. Wenn Fiske dort vorbeifuhr, spielte er oft mit dem Gedanken, ein brennendes Streichholz aus dem Fenster zu werfen, nur um festzustellen, ob die Luft in der ganzen Gegend explodierte.
    Fiskes Kanzlei bestand aus einem Büroraum und einem kleinen Bad, was wichtig für ihn war, denn mittlerweile schlief er hier öfter als in seiner Wohnung. Er hängte den Mantel zum Trocknen auf und rubbelte Gesicht und Haar mit einem Handtuch ab, das er von einem Halter im Badezimmer holte. Dann setzte er eine Kanne Kaffee auf und beobachtete, wie die schwarzbraune Brühe aus dem Filter lief, während er über Jerome Hicks nachdachte.
    Wenn Fiske verdammt gute Arbeit leistete, würde Hicks den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen, statt in der Todeszelle von Greene County die Todesspritze verpaßt zu bekommen. Einen achtzehnjährigen schwarzen Jungen umzubringen würde Graham nicht den Posten des Attorney-General, des obersten Justizbeamten von Virginia, einbringen, auf den er es abgesehen hatte. Ein Mord von einem Schwarzen an einem Schwarzen, einem Loser an einem Loser, würde es in den Zeitungen nicht mal bis auf die hinteren Seiten schaffen.
    Als Cop in Richmond hatte Fiske mit knapper Not die brutale Gewalt ständiger Kämpfe überlebt. Sie überrollte das County und die Innenstadt, schwoll an wie ein häßliches Geschwür, bis zur Größe eines ganzen Bezirks, und dann platzte es, und die ekelhafte Woge spülte über die Städte hinweg und ließ die zerstörten Ghettos und die hoch aufragenden, sündhaft teuren
    Turmspitzen der Innenstadt hinter sich; dann schwappte sie über, riß die schwächlichen Barrikaden der Vorstädte ein und überschwemmte das Umland. Und so war es nicht nur in dieser Stadt, in diesem Bezirk. Gletscher der kriminellen Aktivität krochen von allen Seiten heran. Was wird aus uns, wenn diese Eisströme irgendwann zusammentreffen, fragte sich Fiske.
    Abrupt setzte er sich. Wie fast immer hatte das Sodbrennen ganz allmählich angefangen. Langsam, schleichend. Fiske spürte, wie es von seinem Magen zur Brust hinaufstieg und sich dort ausbreitete. Schließlich strömte das Gefühl unerträglicher Hitze wie Lava in einem Graben seine Arme hinab und ergoß sich in seine Finger.
    Fiske erhob sich taumelnd, schloß die Bürotür ab, riß sich die Krawatte auf, warf sie zur Seite und zog sich das Hemd aus. Darunter trug er ein T-Shirt; er trug immer ein verdammtes T-Shirt. Durch die Baumwolle berührten seine Finger jene Stelle, wo die dicke Narbe begann, die nach all diesen Jahren noch immer aufgerauht war. Die Narbe begann direkt unter dem Nabel und folgte dem gewundenen Weg der Chirurgensäge, bis sie am Hals endete.
    Fiske ließ sich zu Boden fallen und machte fünfzig Liegestütze hintereinander, und die Hitze in seiner Brust und den Extremitäten stieg mit jeder Wiederholung an und ebbte dann wieder ab. Ein Schweißtropfen fiel von seiner Stirn auf den Holzfußboden. Er glaubte, sein Spiegelbild darin sehen zu können. Wenigstens war es kein Blut. Fiske ließ den Liegestützen ebenso viele Klappmesser folgen. Die Narbe kräuselte und verzog sich bei jedem Beugen seines Körpers wie eine Schlange, die unfreiwillig seinem Torso aufgepfropft worden war. Dann befestigte er eine Querstange am Türbalken zum Badezimmer und machte keuchend, mit brennenden Muskeln, ein Dutzend Klimmzüge. Früher hatte er spielend doppelt so viele geschafft, doch seine Kraft ließ allmählich nach. Was unter seiner verwachsenen Haut lauerte, würde ihn irgendwann einholen und töten. Immerhin ließ die Hitze jetzt nach. Die körperliche Anstrengung schien sie zu verjagen, schien diesem unbefugten Eindringling zu verraten, daß immer noch jemand in diesem Körper zu Hause war.
    Er wusch sich im Bad und zog das Hemd wieder an. Während er am Kaffee nippte, schaute er aus dem Fenster. Von hier aus konnte er den Lauf des James River kaum ausmachen. Wenn der Regen

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