Die Wahrheit
anderen Grund hier, der nichts mit Ihrer Ermittlung zu tun hat.«
»Er hilft mir dabei, mir einen Überblick über den Hintergrund seines Bruders zu verschaffen«, sagte Chandler.
Perkins schätzte Fiske mit einem eindeutig unfreundlichen Blick ab. »Ich wußte nicht mal, daß er einen Bruder hatte«, sagte er. »Er hat Sie nie erwähnt.«
»Macht nichts. Sie hat er auch nie erwähnt«, erwiderte Fiske.
Perkins’ Büro lag an dem Gang, der zum Gerichtssaal führte. Es war in einem altmodischen Kolonialstil eingerichtet; Architektur und Handwerkskunst entstammten einer Epoche, als die Regierung noch nicht mit einer Staatsverschuldung in Billionenhöhe und extremen Haushaltskürzungen belastet gewesen war.
An einem Seitentisch in Perkins’ Büro saß ein Mann von knapp fünfzig Jahren. Sein blondes Haar war sehr kurz geschnitten, und sein langes, schmales Gesicht zeugte von unerschütterlicher Autorität. Sein selbstsicheres Auftreten legte nahe, daß er die Ausübung dieser Autorität genoß. Als er aufstand, bemerkte Fiske, daß er weit über eins achtzig groß war und so aussah, als würde er regelmäßig ein Fitneßstudio besuchen.
»Detective Chandler?« Der Mann streckte eine Hand aus und zückte mit der anderen seinen Dienstausweis. »Special Agent Warren McKenna vom FBI.«
Chandler blickte Perkins an. »Ich wußte gar nicht, daß Sie das FBI hinzugezogen haben.«
Perkins wollte etwas erwidern, doch McKenna unterbrach ihn scharf. »Ihnen ist sicher bekannt, daß der Generalbundesanwalt und das FBI das Recht haben, den Mord an jeder Person zu untersuchen, die bei der Regierung der Vereinigten Staaten angestellt war. Doch das FBI hat nicht die Absicht, die Ermittlung zu übernehmen oder Ihnen auf die Zehen zu treten.«
»Ausgezeichnet. Denn wenn man mir auch nur den geringsten Druck macht, drehe ich völlig durch.« Chandler lächelte.
McKennas Miene veränderte sich nicht. »Ich werde versuchen, daran zu denken.«
Fiske streckte die Hand aus. »John Fiske, Agent McKenna. Michael Fiske war mein Bruder.«
»Es tut mir leid, Mr. Fiske. Ich weiß, es muß verdammt hart für Sie sein«, sagte McKenna und schüttelte ihm die Hand. Dann konzentrierte der FBI-Agent sich wieder auf Chandler. »Wenn die Umstände eine aktivere Rolle des FBI erfordern, rechnen wir mit Ihrer uneingeschränkten Zusammenarbeit. Denken Sie daran, das Opfer war Bundesangestellter.« Er schaute sich in dem Raum um. »Beschäftigt bei einer der angesehensten Institutionen der ganzen Welt. Und vielleicht bei einer der gefürchtetsten.«
»Diese Furcht erwächst aus Ignoranz«, stellte Perkins klar.
»Trotzdem wird dieses Gericht gefürchtet. Nach den Erfahrungen von Waco, dem World Trade Center und Oklahoma City haben wir gelernt, besonders vorsichtig zu sein«, sagte
McKenna.
»Wie schade, daß Sie nicht schneller lernen konnten«, sagte Chandler trocken. »Aber Kämpfe um Zuständigkeitsbereiche sind eine gewaltige Zeitverschwendung. Ich bin der Ansicht, man sollte sich die Arbeit brüderlich teilen.«
»Natürlich«, sagte McKenna.
Chandler stellte eine Reihe Fragen, die darauf abzielten, ob Michael Fiske hier am Gericht an irgendeinem Fall gearbeitet hatte, der zu seiner Ermordung hätte führen können. Die Antwort, die er von den Leuten des Gerichts bekam, war immer dieselbe: »Unmöglich.«
McKenna stellte selbst nur wenige Fragen, hörte denen Chandlers aber aufmerksam zu.
»Die genauen Einzelheiten der hier anstehenden Fälle werden nicht an die Öffentlichkeit weitergegeben. Niemand kann wissen, ob ein bestimmter Assessor an einem Fall arbeitet oder nicht.« Um seine Auffassung zu unterstreichen, schlug Perkins mit der Handfläche auf den Tisch.
»Wenn dieser Assessor es nicht jemandem erzählt hat.«
Perkins schüttelte den Kopf. »Ich persönlich leite die Kurse, in denen ihnen während der Orientierungsphase alles über Sicherheitsmaßnahmen und Vertraulichkeit beigebracht wird. Die Assessoren müssen sich an sehr strenge ethische Regeln halten und bekommen sogar ein Handbuch über dieses Thema. Wir dulden hier nicht das kleinste Leck.«
Chandler schien nicht überzeugt zu sein. »Wie alt sind diese Assessoren hier im Durchschnitt? Fünfundzwanzig? Sechsundzwanzig?«
»So ungefähr, ja.«
»Das sind halbe Kinder, die beim höchsten Gericht des Landes arbeiten. Und Sie wollen mir weismachen, daß sie sich nicht mal verplappern können? Und sei es auch nur, um eine Freundin zu beeindrucken?«
»Ich bin schon
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