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Die Wand der Zeit

Die Wand der Zeit

Titel: Die Wand der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Bruce
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vor, drücke die Wange dagegen. Sie ist warm. Körperwarm.
    »Ich bin es. Bran. Ich bin wieder da.«
    Von drinnen kommt nichts.
    Ich höre Schritte auf dem Gang. Gehe ein Stück weiter und probiere die Klinke der nächsten Tür. Zu meiner Überraschung öffnet sie sich. Leise schließe ich die Tür hinter mir. Der Schlüssel steckt, und ich schließe ab.
    Die Schritte halten inne, erst vor dem Zimmer nebenan, dann vor meiner Tür. Die Klinke wird langsam heruntergedrückt. Dann entfernen sich die Schritte auf dem Gang.
    Ich sehe mich um. Die Wände sind größtenteils verstellt. Ein Haufen Kisten, Möbel und Bretter türmt sich davor. Das Zimmer dient offenbar als Abstellraum. Ich rücke ein paar Bretter weg. Finde einen kleinen Holzkasten. Schüttle ihn und höre es klappern. Ein Kinderspielzeug ist drin, eine Figur aus Hölzchen, die eine Schnur zusammenhält. Ob Mann oder Frau, lässt sich nicht sagen. Ich stecke sie ein, um sie beim nächsten Besuch Amhara zu schenken. Ich schiebe eine große Planke weg, um zu sehen, was dahinter ist. Etwas lehnt an der Wand. Schlagartig ist alles wieder da. Mir stellen sich die Nackenhaare auf. Die Farben sind verblasst, lösen sich hier und da, aber was es ist, werdas ist, steht außer Zweifel. Ich bin es. Im Halbprofil, den Blick dem Maler zugewandt. Das Porträt, das hinter meinem Schreibtisch hing. Unverkennbar. Ich schaue grimmiger aus, als ich es in Erinnerung habe. Trage meine Heeresuniform. Unter dem Bild steht etwas in schwarzer Schrift. Davon weiß ich nichts, und ich kann es auch nicht lesen. Egal. Jetzt habe ich den Beweis, der sie zwingen wird, sich mir zu stellen. Auch bei genauem Hinsehen kann ich die Schrift nicht entziffern.
    Ich nehme das Bild und gehe damit zu der Wand zwischen den Zimmern. Klopfe dagegen. Ein Rascheln. Unscheinbar. Ein Geräusch wie von einer Maus.
    »Ich komme wieder.«
    Ich weiß nicht, ob ich zu verstehen bin, und spreche lauter. »Ich komme wieder und hole dich. Mein Wort darauf.«
    Auf dem Gang ist niemand. Ich gehe noch einmal zum Büro des Marschalls. Es ist verschlossen und verriegelt. Auch sonst sehe ich niemanden in dem Gebäude.
    Als ich unten bin, steht jedoch der Mann aus dem Büro auf einer Seite des Hofs. Ich habe das Porträt zwar eingewickelt, sodass er nicht sehen kann, um was es sich handelt, aber dass ich etwas mitgenommen habe, ist offensichtlich. Dennoch folgt er mir nicht. Er schaut mir nur hinterher.
    Auf der Straße sehe ich Amhara. Sie trägt die rote Jacke. Ein Stück vor mir verschwindet sie mal links, mal rechts in einer Seitenstraße oder Gasse und taucht wieder auf. Sie bleibt stehen, dreht sich um und schaut zu mir her. Ich hebe die Hand zum Gruß. Amhara zeichnet sich rot vor einem weißen Gebäude ab.
    Ich gehe zu ihr. Als ich näher komme, tauchen ihre Spielgefährtinnen aus den Schatten, den Straßenecken auf und laufen, schweben auf mich zu. Ihre Augen blinzeln nicht. Sie sind beimir und greifen nach mir. Eine packt mich am Arm, eine andere zupft an meiner Jacke. Schweigend umringen sie mich. Amhara hat sich nicht gerührt. Sie ist größer als die anderen. »Lasst ihn«, sagt sie. Sie laufen davon und verschwinden wieder in den Straßen. Amhara bleibt, sieht mich an. Sie nimmt meine Hand und drückt sie. Ihre Augen sind wie meine. Die Welt verkleinert sich. Die Zeit bleibt stehen. Ich will etwas sagen, doch Amhara dreht sich um und ist weg. Zu spät fällt mir das Spielzeug in meiner Tasche ein.
    Ich bringe das Porträt in den Unterstand und decke eine Plane drüber. Andalus scheint nichts davon mitzubekommen.
    »Ich habe einen Beweis«, sage ich ihm.
    Er lehnt am Holzrahmen des Unterstands.
    »Einen Beweis dafür, dass alles so ist, wie ich behaupte. Den Beweis, dass Sie und ich der Fels sind, auf den diese Siedlung gebaut wurde. Unsere beiden Siedlungen.«
    Dabei beobachte ich seine Augen.
    »Und Sie schweigen immer noch. Ich begreife Ihr Spiel nicht.
    Beweise. Ich will noch mehr. Und ich werde sie finden.«
    Ich fange beim ersten Haus am Stadttor an. Eine Straße nach der anderen werde ich abklappern, von Tür zu Tür gehen, mir von jedem eine Antwort holen. Sehen, ob ich den kenne, der die Tür aufmacht. Dafür sorgen, dass sie mir keiner vor der Nase zuschlägt. Kenne ich die Person nicht, stelle ich jeweils die gleichen Fragen: »Wo sind Tora und Abel?« Das frage ich, obwohl ich mir denken kann, wie die Antwort ausfällt. Und als Zweites: »Sie wissen, wer ich bin, oder?« Wenn man mir in die Augen

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