Die Wanderbibel
Garmisch-Partenkirchen inklusive Zugspitzbesteigung. Laut Programm sollten dabei am ersten Tag die Grundfertigkeiten des Klettersteiggehens bei der Bewältigung des als eher einfach einzuschätzenden Klettersteigs »Ferrata«, der auf die Alpspitze (2628 Meter) führt, erworben werden, einen der bekanntesten und schönsten Berge der Nördlichen Kalkalpen. Also sozusagen »learning by doing«. Nach einer Übernachtung auf einer Berghütte sollte dann am zweiten Tag das neu erworbene Wissen zur Anwendung kommen und der höchste Berg Deutschlands über den als »ziemlich schwierig« eingestuften Höllental-Klettersteig bezwungen werden. Auf Rückfrage, was denn unter »konditionsstark« zu verstehen sei, teilte der Veranstalter mit, dass eine Grundkondition für sechs bis acht Stunden Bergwanderung, inklusive voll gepacktem Rucksack, schon vorhanden sein sollte.
Vor die Wahl gestellt, ein Gurtsystem nebst Klettersteigset zu leihen oder zu kaufen, entschieden wir uns für das Letztere. Wir planten nämlich nach hoffentlich erfolgreicher Absolvierung des »Klettersteig-Einführungs wochenendes« noch weitere Klettersteige in unserem Lieblingswandergebiet, den Dolomiten, zu bezwingen. Daher erwarben wir im Outdoorshop unserer Wahl einen sogenannten »Komplettklettergurt« (besitzt sowohl Arm- als auch Beinschlaufen). Dazu kam noch ein Klettersteigset eines Markenherstellers, das, wie uns die Verkäuferin versicherte, selbstverständlich die strengen Normen der »Union Internationale des Associations d’Alpinisme« (UIAA) erfüllte und daher unsere Sicherheit garantieren sollte. Offensichtlich müssen mittlerweile nicht nur in Deutschland ständig irgendwelche Normen erfüllt werden.
Natürlich haben wir das korrekte Anlegen von Gurt und Klettersteigset zu Hause ausprobiert. Wir wollten nämlich vor dem Bergführer nicht als komplette Idioten dastehen. Was bei der Demonstration durch die nette Verkäuferin im Laden so einfach ausgesehen hatte, stellte uns im heimischen Wohnzimmer aber vor nahezu unlösbare Probleme.
Wir schafften es zwar, wenn auch nach einigen Fehlversuchen, den Klettergurt richtig anzulegen und auf unsere Körpermaße einzustellen. Sämtliche Versuche, das Klettersteigset korrekt am Gurt zu befestigen, endeten jedoch in einer babylonischen Seilverwirrung: Wir erwiesen uns als regelrechte Gurt-Legastheniker, denn Karabinerhaken, Y-Schenkel, Bremsseil und Fangstoßdämpfer überforderten uns gnadenlos. Letztendlich rettete uns die moderne Technik. Nach etwas »googeln« im Internet fanden wir bei »youtube« eine Videoanleitung. Hier demonstrierte uns ein Herr, der verblüffend an den Skandalrapper Sido (nur ohne all die schönen Tätowierungen) erinnerte, »die einfache und sichere Einbindung des Klettersteigsets in den Klettergurt mittels eingenähter Bandschlinge und Ankerstich«, wie das offensichtlich in der Fachsprache heißt. Voilà: Wir waren bereit für die Klettersteige dieser Welt.
Und so starteten wir an einem sonnigen Freitagmorgen im Juli 2007 unsere Tour am Fuße der Alpspitze, die mit ihrem an eine etwas schräge Pyramide erinnernden Gipfel einer der formschönsten Berge Deutschlands ist.
Der Wetterdienst hatte am Tag zuvor bestes Wanderwetter für die bayerischen Alpen versprochen, und der Wetterdienst hatte Recht behalten. Meine längst verstorbene Großmutter hätte es als »Kaiserwetter« bezeichnet. In einigen, sagen wir schwächeren, Momenten – wir konn ten es ihr ums Verrecken nicht abgewöhnen – sprach sie an solch einem Tag auch gerne vom »Führerwetter«. Doch wir waren ja nicht auf dem Obersalzberg, sondern auf dem Weg zur Alpspitze.
Am vereinbarten Treffpunkt, dem Parkplatz der Talsta tion der Osterfelder Bergbahn, warteten bereits pünktlich um acht Uhr unser Bergführer Sepp sowie drei weitere Klettersteigkursaspiranten auf uns.
Sepp entsprach exakt dem Klischee, das man so von einem Bergführer pflegt. Drahtig, braun gebrannt, mit wettergegerbten Gesichtszügen und eher schweigsam. Und wenn ich sage schweigsam, dann meine ich: richtig schweigsam! Bei Sepp verließ kein überflüssiges Wort die Lippen. Wo es meine Frau, typisch Anwältin, ohne Mühe auf hundert Worte die Minute bringt, kam der große Schweiger Sepp mit zehn aus – in der Stunde, versteht sich.
Kurze Anweisungen kommunizierte Sepp mit kurzen Brummlauten. Wir lernten rasch, zustimmendes Brummen von verneinendem Brummen zu unterscheiden.
Bevor wir losgingen, galt es noch, die Ausrüstung zu
Weitere Kostenlose Bücher