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Die Wanderbibel

Titel: Die Wanderbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Kehle , Mario Ludwig
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verteilen. Und so fischte Sepp aus den Tiefen seines Kofferraums für jeden einen Bauarbeiterhelm sowie ein Paar Steigeisen, die aussahen, als hätten sie bereits Hannibals Karthagern bei der Überquerung der Alpen gute Dienste geleistet. Aber darüber verschwendeten wir zu diesem Zeitpunkt noch keine großen Gedanken …
    Und so machten sich ein Banker, ein Großbäcker, eine Dozentin der Sporthochschule Köln sowie eine Anwäl tin samt Gatten bei allerprächtigstem Wetter auf, die Alp spitz-Ferrata zu bezwingen.
    Die Seilbahn ersparte uns einen schweißtreibenden Aufstieg von immerhin 1300 Höhenmetern und katapultierte uns innerhalb weniger Minuten auf den am Fuße der Alpspitze gelegenen Osterfelderkopf (2050 Meter). Von der Bergstation dauerte es dann nur noch eine knappe Viertelstunde, bis wir auf einem bequemen, gut ausgeschilderten Weg den Einstieg in die »Alpspitz-Ferrata« erreichten. Imposante Warnschilder »Nur für Geübte« bemühten sich, Turnschuh- beziehungsweise Flip- Flop-Alpinisten vom Klettersteig fernzuhalten. Deutlicher formuliert es übrigens ein Warnschild auf dem Schweizer Schilthorn: »High heels prohibited!«
    Jetzt konnte das Abenteuer Klettersteig endlich beginnen. Zunächst bestand Sepp jedoch auf einer gründlichen Inspektion unserer Rucksäcke. Schlafsäcke, Kulturbeutel, Lebensmittelvorräte für mehrere Tage und alles andere, was nur im geringsten Verdacht stand, für die bevorstehende Klettertour überflüssig und somit unnötiger Ballast zu sein, wurde von Sepp gnadenlos aussortiert. Wir verstauten alles in Plastiksäcke und versteckten sie in einer Felsspalte. Unsere Bedenken, die Säcke samt Inhalt könnten bis zu unserer Rückkehr neue Besitzer gefunden haben, wischte Sepp mit der Bemerkung beiseite, dass ab 2000 Metern über dem Meer so gut wie nie oder aber höchstens in Italien geklaut würde. Nach einer kurzen verbalen Einweisung in das Klettersteiggehen, übrigens ohne Brummen, wurde es ernst. Wir legten Klettergurte und Klettersteigsets an. Auch die ande ren Teilnehmer schienen zu Hause kräftig geübt zu haben. In Nullkommanix standen wir abmarschbereit vor Sepp. Der überprüfte den korrekten Sitz von Helm und Gurtzeug und ermahnte uns nochmals, stets beide Karabinerhaken in die Sicherungsseile einzuklinken.
    Gleich beim Einstieg in den Steig musste eine steile Felspassage mithilfe einer rund zehn Meter hohen, aus in regelmäßigen Abständen in den Felsen gehauenen Bügeln bestehenden Leiter überwunden werden. Der Rest war echtes »Genusskraxeln«, ohne große Schwierigkeiten, aber ein bisschen aufregend.
    Ein Verlaufen war hier nicht möglich, man musste einfach immer nur dem Drahtseil folgen. Übrigens: die Alpspitz-Ferrata macht ihrem Namen »Eisenweg« fast zu viel der Ehre. Zumindest wenn man es vom Blickwinkel des Materialverbrauchs betrachtet. Insgesamt wurden hier schließlich ganze Tonnen von Eisen in Form von unzähligen Trittstiften, Klammern, Sicherungspflöcken und Leitern in den Fels gehauen. Für Klettersteigneulinge ist das auf den ersten Blick ziemlich komfortabel. Es ist nämlich relativ einfach zu entscheiden, wo man seine Füße hinsetzt und wo man mit den Händen zugreifen muss. Mit sieben Worten: Wir waren unterwegs auf dem idealen Anfängerklettersteig.
    Auf der anderen Seite hat man, dank des vielen Eisens, kaum noch Kontakt mit dem Fels selbst, obwohl oft mehr als genügend natürliche Tritte und Griffe vorhanden waren. Hier wäre weniger mehr gewesen. Aber was soll das Gemäkel: Alle Teilnehmer hatten an diesem Steig und bei diesen Wetterbedingungen reichlich Spaß.
    Sepp hielt seine Schäfchen mal führend, mal am Ende unserer Gruppe absichernd mit großer Umsicht zusammen, vergleichbar einem äußerst gutmütigen Hütehund. Er war immer und überall, beobachtete uns mit Argusaugen und sorgte mit einem missbilligenden Brummen oder einem halblauten »Obacht« dafür, dass wir nicht zu übermütig wurden und uns auch in »ungefährlichen« Passagen in das sichernde Drahtseil einklinkten.
    Später erfuhren wir, dass Sepp, allein in seiner Eigenschaft als Bergführer, bereits nicht nur auf so ziemlich jedem Viertausender der Alpen gestanden hatte, sondern auch zahlreiche Expeditionen auf den Kilimandscharo, auf Anden-Sechstausender und sogar im Himalaya geleitet hatte. Und dieser beklagenswerte Mann war jetzt dazu verdammt, fünf Flachlandtiroler auf einen Gipfel zu führen, der noch nicht einmal dreitausend Meter hoch ist.
    Man konnte es Sepp

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