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Die Wanderbibel

Titel: Die Wanderbibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Kehle , Mario Ludwig
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ruhig ein bisschen beknackt aussehen. Nordic Walker, die sturen Schrittes, den Stechschritten der Soldaten vor dem Kreml nicht einmal unähnlich, durch Parkanlagen marschieren, könnten dies genauso gut auch ohne Stöcke tun oder Opas alten Spazierstock verwenden.
    Es war im Jahr 1995, Teleskopstöcke waren noch kein allzu großer Verkaufschlager, da kamen wir auf einem Vorarlberger Gipfel an, als zeitgleich ein Wanderer mit Stöcken aufstand und den Steilpfad nach unten tänzelte. Wie ein Skifahrer wedelte er in die Tiefe, mal übersprang er ein Hindernis, indem er sich auf die Stöcke stützte, sich abfing, sie quasi als Vorderhufe verwendete, mal hüpfte er einfach über Felsen. Wir trafen ihn zufällig einige Tage später in einem Café – die Welt ist klein, vor allem in Vorarlberg. Das sei alles Technik, sagte er, allerdings habe er zehn Jahre dafür geübt. Ob er durch die großen Sprünge nicht seine Knie schädige? Nein, der Einsatz der Stöcke als Bein Nummer drei und vier halbiere schließlich die Schrittzahl seiner Beine eins und zwei. Er habe ja wohl eine irre Geschwindigkeit drauf! Ja, sein persönlicher Rekord seien 700 Höhenmeter Abstieg in etwas mehr als vierzig Minuten. Er habe einen Wettlauf mit einem Sessellift unternommen, der für die Strecke eine halbe Stunde benötigte. Man müsse allerdings schon eine gewisse Erfahrung haben, am Anfang seien ihm ab und an Stöcke und Beine ins Gehege gekommen, Gott sei Dank habe er sich bei einem Sturz nur einen Arm und kein Bein gebrochen.
    Technik ist alles. Ein anderes Mal beobachteten wir einen Wanderer, der ohne Stöcke mit ausgebreiteten Armen – ähnlich wie ein Jungstorch bei den ersten Flugversuchen – von Felsblock zu Felsblock hüpfte und dabei ein wenig in der Luft ruderte. Binnen Sekunden war auch er aus unserem Blickfeld verschwunden. Klar – der Ruderer hielt mit den Armen sein Gleichgewicht. Dass man auf Schnee- und Schutthängen »abfahren« kann, also den nachgebenden Untergrund ausnutzt, um Schritte zu sparen, sich gleichzeitig abbremst und schneller ins Tal kommt, auch das fällt in die Rubrik Technik für Fortgeschrittene.
    Ein beliebter Anfängerfehler ist übrigens das »Stöckeln« in Blockfeldern. Beim Hüpfen von großem Block zu großem Block verzichtet man automatisch auf Teleskopstöcke (am besten, man befestigt sie gleich am Rucksack). In kleinteiligerem Geröll erliegt man gerne der Illusion, die Stöcke könnten einen beim Abrutschen abfangen, und zwar so lange, bis einem der erste Stock an einer scharfen Steinkante bei heftiger Hebelwirkung abbricht. Dass man Schneehänge nicht immer abfahren sollte, dürfte auch klar sein. In Rinnen etwa ist der Altschnee gerne von Schmelzwasser unterspült – ein Einbrechen durch die Schneebrücken kann so gemütlich sein wie ein Sturz in eine Gletscherspalte.
    Ein typischer Anfängerfehler ist außerdem, gleich zu Beginn der Wanderung loszurennen. Man möchte ja sein Ziel möglichst schnell erreichen. Das Gegenteil ist der Fall: Wer sich gleich zu Beginn auspumpt, braucht später länger. Der erfahrene Wanderer drosselt seine Geschwindigkeit am Anfang und denkt nicht schon am frühen Morgen an das Radler und die Siesta. Ist am Ende der Tour das Grillfeuer quasi schon zu riechen, beschleunigt sogar ein erschöpfter Wanderer seine Schritte. Und es geht auch ohne Bratwurstgeruch: Die Wanderforschung nennt das Phänomen »nahende Stallsicherheit.« Die Wissenschaftler merken an, dass der Wanderer an sich ungern Umwege in Kauf nehme, obwohl eine Wandertour »keinem notwendigen Verbindungszweck« diene und »genau genommen einen einzigen Umweg darstellt«. Das Entschleunigen bei Beginn einer Wanderung fällt übrigens bei ansteigenden Wegen umso schwerer, denn eigentümlicherweise neigt der Mensch dazu, seine Gehanstrengung und damit seine Geschwindigkeit zu erhöhen, sobald der Weg steiler wird oder es sich um einen Auf stieg handelt. Unbewusst, so die Forscher, will der Mensch vor sich liegende Steigungen möglichst schnell überwinden, weshalb er auch grundsätzlich dazu neigt, Serpentinen im Aufstieg abzukürzen. Der Grund: Die Natur ist prinzipiell feindselig und gefährlich. Von einem erhöhten Punkt, den es schnell zu erreichen gilt, hat man eine bessere Über- und Aussicht über drohende Gefahren, seien es gefährliche Tiere oder feindliche Volksgruppen – für unsere Vorfahren ein Überlebensvorteil.

15 Die höchste U-Bahn der Welt, ein Stück Toblerone oder doch das Weiße

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