Die Wanderbibel
gelegenen Weissmies, den Hausberg von Saas Grund. Das hatte mehrere Gründe: Zum einen ist der Weissmies in den einschlägigen Führern zwar nicht als leicht, aber doch als »wenig schwierig« eingestuft. Der Weissmies ist ein »Latsch-Viertausender«, Kletterkünste werden hier nicht abverlangt. Das korrekte Gehen mit Steigeisen in steilem Gelände und eine Grundkondition für rund tausend zu bewältigende Höhenmeter sind die einzige Voraussetzung für einen Gipfelsturm auf diesen Berg. Hauptgrund für die Wahl des Weissmieses war je doch eine ergoogelte Offerte der lokalen Bergsteigerschule, die für Viertausender-Einsteiger eine Weissmiestour inklusive vorherigem Eistraining unter dem bezeichnen den Namen »Mein erster Viertausender« anbot. Bei einem solchen Namen musste ich natürlich zugreifen! Außerdem ist Saas Grund von Karlsruhe nur vier Autostunden entfernt.
Seinen komischen Namen hat der Weissmies übrigens dem Walliser Dialekt zu verdanken: »Mies« bedeutet so viel wie »Moos«. Weissmies heißt also »weißes Moos«.
Die geführte Tour auf den Berg wird im Sommer an jedem Wochenende angeboten und scheint äußerst beliebt zu sein. Allein an »meinem« Samstag waren wir 23 Gipfelaspiranten – übrigens außer mir alles Schweizer –, um die sich insgesamt acht Bergführer kümmerten. Und »meine« ist nur eine Schweizer Bergsteigerschule von vielen, die den Weissmies auf dem allwöchentlichen Programm haben. Ich rechnete also mit einem ziemlichen Gedränge auf dem Gipfel.
Am Tag X ging es zunächst von Saas Grund aus mit der Gondel zur Mittelstation der Hohsaasbahn, dem sogenannten Kreuzboden, von dort zu Fuß über einen Schotterweg zur Zunge des Triftgletschers, wo wir dann auf rund 2750 Metern Höhe den Nachmittag mit Eistraining verbrachten. Vor allem Steigeisengehen in allen Variationen sowie Anseilen und das Gehen am Seil wurden heftigst trainiert. Anschließend teilten uns die Bergführer nach einem rätselhaften System in Viererseilschaften auf.
Als einziger Deutscher unter 22 Schweizern fällt man schon allein wegen der Sprache auf. »Bisch a Schwob?«, fragten mich deshalb auch gleich meine Seilkameraden in spe, Urs und Hans Ruedi, zwei befreundete Versicherungsangestellte aus Luzern. Natürlich protestierte ich ob dieses ungeheuerlichen Verdachtes heftig und erklärte meinen, in Geografie etwas schwächelnden Bergkameraden, als Karlsruher sei ich Badener und nichts, aber auch gar nichts, sei für einen aufrechten Badener schlimmer, denn als Schwabe tituliert zu werden.
Ein Protest, der wenig interessierte. Meine eidgenössi schen Bergkameraden erklärten mir lapidar, in der Schweiz würde jeder Deutsche, egal ob aus Hamburg oder München, als Schwabe bezeichnet werden.
So eben, wie wir von unseren österreichischen Nachbarn gerne auch »Piefke« genannt werden. Zu »Piefke« gibt es übrigens noch eine Steigerung nämlich »Scheipi«, eine Bezeichnung, die sich harmlos anhört, aber die Abkürzung für »Scheiß-Piefke« ist.
Die Bezeichnung Schwabe = Deutscher hat übrigens eine lange Tradition. Geht sie doch auf ein Ereignis im Jahr 1499 zurück, als zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Haus Habsburg der sogenannte »Schwabenkrieg« tobte.
Wir übernachteten in rund 3100 Metern Höhe im Berghaus Hohsaas. Diese erst vor wenigen Jahren eröffnete – ich traue mich kaum, sie so zu nennen – Berghütte war ganz anders als viele Berghütten, die ich aus Österreich und Deutschland kannte. Es gab lichtdurchflutete, unglaublich saubere Vierer- und Sechserzimmer mit großzügigen Schlafkojen, und die federleichten, aber kuschelig warmen Federdecken hatten so angenehm gar nichts mit den sonst üblichen muffigen »Alpenvereinsdecken« zu tun.
Und der Geruch! Wird ein österreichisches oder deutsches Stuben- oder gar Massenlager oft von einem Duftmix aus Schweiß, Käsefußsocken und entwichenen Blä hungen durchzogen, roch es hier geradezu aseptisch frisch. Lediglich ab und an konnte man ein bisschen Desinfektionsmittel oder Holzpolitur erschnüffeln. Die typische Schweizer Sauberkeit und Ordnung gibt es offensichtlich auch jenseits der 3000-Meter-Höhenmarke. Natürlich prangte auf dem Rücken der Filzhüttenschuhe, die jeder Übernachtungsgast tragen musste, ein gut sichtbares Schweizerkreuz.
Abends wurde ein für alle »im Preis inkludiertes« Bergsteigeressen aufgetischt: Ein etwas gewöhnungsbedürftiges Gulasch mit »Kartoffelstampf«. Schade, ich hatte auf
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