Die Wanderbibel
Dreitausender-Wanderer »Freie Sicht aufs Gipfelmeer« verzeichnet vor allem Gipfel bis zum vierten Grad. Wer auf das Wahrzeichen von Sankt Moritz steigt, den Piz Julier (3380 Meter), sollte keine Angst vor gesicherten Stellen und Schwindel erregenden Blicken in den Abgrund haben.
Bis über 3600 Meter kann man inzwischen wandern, der wohl einfachste Gipfel dieser Höhe ist das Üsser Barr horn (3610 Meter) in den Walliser Alpen. Ein solcher Gipfel wäre in anderen Alpengebieten eine Sensation, im Wallis ragen die Nachbarn noch mal tausend Meter höher in den Himmel. In der südlichen Ortlergruppe lockt mit dem Monte Vioz (3645 Meter) ein wahrer Bergriese die Wanderer. Vom italienschen Pèio lässt sich der Aufstieg mittels einer Seilbahn auf etwa 750 Höhenmeter verkürzen, allerdings sollte man sich zuvor auf einem Berg mit allenfalls knapp über 3000 Meter aklimatisiert haben. Auf 3538 Meter Höhe bringt es Europas höchst gelegener Wallfahrtsort, die Rocciamelone in den Grajischen Alpen, die jedoch einige Kletterstellen aufweist und Konditionsriesen vorbehalten ist – das Tal von Susa überragt der Gipfel um gewaltige 3100 Meter, jeden 5. August findet übrigens eine Pilgerfahrt auf die Rocciamelone statt.
Der Umgang mit Teleskopstöcken, richtiges Verhalten in Schutt- und Blockhalden und natürlich das Lesen von Karten sollten für »Dreitausender-Sammler« obligatorisch sein. Die meisten Unfälle passieren auf Altschneefeldern, auf denen Wanderer leicht ausrutschen, weshalb die Wandersaison in diesen Höhen erst Anfang bis Mitte Juli beginnt. Alpine Dreitausender sind auch ohne Eis und Schnee ernst zu nehmende Gipfel, ein Wetterumschwung kann einen »Latsch-Dreitausender« lebensgefährlich machen.
Zu empfehlen sind grundsätzlich auch regionale Wanderbücher und Tipps versierter Einheimischer. So lassen sich Geheimtipps eruieren wie die Eisseespitze (3230 Meter), der einsame Nachbar der überlaufenen Sul denspitze im Ortlergebiet, der Ahrner Kopf (3051 Meter) in der Rieserfernergruppe oder der Piz la Stretta (3104 Meter) östlich des Berninapasses – selten besuchte Gipfel selbst während der Hochsaison. Anfänger halten sich jedoch am besten an jene Dreitausender, die in den jeweiligen »Rother Wanderführern« beschrieben sind.
Die meisten Dreitausender lassen sich im Oberengadin, von Vent in den Ötztaler Alpen oder von Sulden am Ortler aus »sammeln«, ein Dutzend sind dort während eines normalen Urlaubs und mit guter Kondition locker zu machen, stabiles Wetter vorausgesetzt, und auch rund um Saas-Fee und Zermatt locken zahlreiche Touren über 3000 Meter. Mit etwas Wetterglück kann der Dreitausender-Junkie reihenweise Gipfel jenseits der magischen Grenze mit nach Hause bringen – unser »Extremwanderer« kann extrem Eindruck schinden.
Ein Wanderer, der schon von der Nordsee zum Mittelmeer marschiert ist und dessen höchster Berg die Kreuzspitze in den Ötztaler Alpen war, sammelt seine Touren im Internet. Auf der ersten Seite seiner Homepage finden sich die Top-30-Touren, sortiert nach Beliebtheit bei den Besucherinnen (4467 Hits für die Kreuzspitze). Klickt frau die Kreuzspitze an, erhält die beeindruckte Leserin einen ausführlichen Tourenbericht (»Leider begrenzten Wolken unsere Sicht, die von dort oben ja gewaltig ist«). Neben statistischen Hinweisen wie Besteigungsdatum und Schwierigkeitsgrad gibt es die Möglichkeit, den Gipfel via Google Earth anzusteuern, was technisch versierte Leserinnen zusätzlich beeindruckt. Die Website gipfelsammler.de, auf der eingetragene Members ihre Touren sammeln können, hatte bei Redaktionsschluss 211 Mitglieder, die in 2466 Touren mehr als 2.644.618 Höhenmeter erklommen haben.
»Sammler sind glückliche Menschen«, schrieb Friedrich Schiller, der die Website des »Alpen-Yeti« leider noch nicht kennen konnte. Zu Redaktionsschluss vermerkte jener Alpen-Yeti auf seiner Website (www.wanderprofi.at), dass er 25 von 57 Gebirgsgruppen der Ostalpen bereits besucht habe. In 5,5 Wanderjahren habe er es auf 1060 Gipfel gebracht, davon mehr als 800 unterschiedliche. Dabei schränkt er ein, dass sich 88 Prozent seiner Gipfel auf sieben Gebirgsgruppen beschränken – der Alpenyeti ist in der Welt noch nicht so recht herumgekommen.
In den Niederlanden können Höhenmetersammler theoretisch Negativrekorde aufstellen, nämlich Wande rungen unterhalb des Meeresspiegels durchführen. Minus sieben Meter unter dem Meeresspiegel etwa liegt Zuidplaspolder. Am tiefsten
Weitere Kostenlose Bücher