Die Wanderbibel
Punkt des Landes preist sogar eine Familie ihre Ferienwohnungen an. Der Blick reiche über Wald und Wiesen, Ruhe und Stille seien garantiert, man könne auf asphaltierten Wegen herrlich wandern und radfahren. Mit etwas Raffinesse lassen sich am Tag also sicher minus hundert Höhenmeter zurücklegen, rechnet man die Treppenstufen im Ferienhaus mit ein. Gegen den tiefsten Punkt der Erde überhaupt unter dem Meeresspiegel sind die Niederlande natürlich Pille-Palle: Richtige Negativ-Rekorde lassen sich bei Wanderungen rund um die Küste des Toten Meeres (minus 395 Meter) aufstellen.
Ganz besonders mit Statistiken haben es die Geocacher, die modernen Schnitzeljäger und Schatzsucher. GPS und Internet machen’s möglich. Schon gewusst? In Deutschland sind über 152.000 Schätze versteckt, denen man elektronisch auf die Spur kommen kann! Der normale Wanderer hat sich vielleicht schon über Pfade gewundert, die scheinbar ins Nichts führen. Nein, das sind keine Pinkelplätze, vielmehr steckt irgendwo in einem Felsspalt ein Döschen, in dem der Geocacher sich registrieren beziehungsweise den gefundenen »Schatz« gegen ein eigenes Mitbringsel austauschen kann. Logisch, dass es im Netz reichlich Rankings gibt. Eine der führenden Schatzsucherinnen Deutschlands ist »Alligateuse« aus Hamburg mit sage und schreibe 14.200 Funden bis Redaktionsschluss – falls sie von Anfang an dabei ist, also seit dem Jahr 2000, sind das 1290 Funde pro Jahr beziehungsweise 3,5 pro Tag. Ihr persönlicher Rekord liegt bei 129 Funden an einem einzigen Tag während eines »Cache- Runs«. Alligateuse mag eine ranke, durchtrainierte Wanderin sein, könnte ihre Statistik aber auch mittels »Drive-in-Cashing« an Autobahnraststätten aufgebessert haben. Laut geocaching.de gibt es immerhin über 1600 per Auto erreichbare Schätze. Die Website wird übrigens unterstützt von der »Deutschen Wanderjugend«. Dass mancher echte Wanderer unter den Geocachern sowie Naturschützer über die Popularität des »Sportes« nicht sehr glücklich sind, wundert nicht. Die Kommerzialisierung des Hobbys widerspricht der ursprünglichen Philosophie, dass Geocaching im Geheimen stattfinden sollte. Zumal bei manchen Verstecken nicht unbedingt Rücksicht auf die Natur genommen wird. Andererseits gibt es sogenannte »Event-Caches«, etwa das CITO, das »Cache in – Trash out«, bei dem ein bestimmtes Gebiet festgelegt wird, aus dem Müll beseitigt wird. Nach der Reinigung der Gegend wird schließlich ein »Erinnerungs-Cache« ausgelegt. Übrigens gibt es inzwischen auch Promis und B-Promis, die auf der Geocaching-Schiene Geld verdie nen. Bernhard Hoëckers »Aufzeichnungen eines Schnitzeljägers«-Hörbuch gehört in den MP3-Player eines jeden Geo cachers, jedenfalls nach dem Selbstverständnis des Autors. Unvermeidlich auch, dass Manuel Andrack einen Geocaching-Roman für Kinder geschrieben hat: »2 mit Grips und GPS. Cache! Wir finden ihn!« Selbst Bombenalarm wurde schon wegen Geocaching ausgelöst. Auf dem Karlsruher Hauptbahnhof entdeckte die Polizei kürzlich einen verdächtigen Gegenstand, der unter einer Skulptur abgelegt war. Teile des Bahnhofs wurden geräumt bis zur Identifizierung des Kastens als Versteck für Schnitzeljäger. Die Polizei warnte Geocacher: »Die hierdurch verursachten erheblichen Kosten können im Rahmen von zivilrechtlichen Forderungen möglicherweise in Rech nung gestellt werden.«
»Nur ein bemoshter Gipfel ist ein guter Gipfel«, das ist das Motto der Gipfelmosher, die eine »gesunde Mischung aus Metal und Alpinismus« pflegen. Gut besuchte Wandergipfel wie der Mittagskogel in den Karawanken oder der Lemberg auf der Schwäbischen Alb wurden bereits bemosht – die Liste der »Erstbemoshungen« ist stattlich, selbst die höchsten Berge des afrikanischen und amerikanischen Kontinents sahen schon die gut behaarten jungen Heavy-Metal-Anhänger. Kaum auf dem Gipfel angekommen, wird die Luftgitarre ausgepackt und Headbanging betrieben – Gebot Nummer sechs der zehn Gebote der schwarz gewandeten Gipfelmosher in Sprin gerstiefeln lautet: »Du sollst nicht begehren deines Nächs ten Haarpracht«, bemerkenswert auch Gebot Nummer neun: »Ertüchtige deinen Körper – Setze dem Gerücht ein Ende, dass Metaler unsportliche Säufer sind.«
Dass sich die Psychologie und Soziologie seit langem dem Phänomen des Wanderns angenommen hat, nimmt also in Anbetracht der Blüten, die es treibt, erst recht nicht Wunder. Auch für die Dreitausender-Sammler,
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