Die Wanderbibel
die Höhenmeterfresser und wohl auch die Gipfelmosher hat Rainer Brämer vom Deutschen Wanderinstitut eine etwas deprimierende und (wie ich als bekennender Dreitausender-Junkie finde) nicht ganz plausible Erklärung: Er macht dahinter die »Flucht vor der eigenen Leere« aus, die einen immer auf Trab hält: »Noch auf der Tour wird schon die nächste geplant, die Zeit dazwischen zählt nicht. Registriert werden am Ende nur die Gipfel, die man gemacht hat …«
21 Angefixte Kinder
Früh übt sich, wer Wanderer werden will
Es gibt zwei Sorten von Eltern: Missionare und Egoisten. Die Missionare wollen ihre Kinder um jeden Preis zum Wanderer erziehen und ihnen die Schönheit der Natur nahebringen. Die Egoisten wollen ihre Kinder einfach loshaben, sie tagsüber abgeben, um ihren Urlaub genießen und wandern zu können. Dass sich die beiden Sorten spinnefeind gegenüberstehen, dürfte klar sein. Und dass es gerade die Missionare schwer haben dürften, zeigt ein Blick auf den Aldi-Parkplatz. Während früher eine vierköpfige Familie locker in einem VW-Käfer Platz hatte, braucht sie heute mindestens einen Explorer. Während die heutige Elterngeneration als Kinder noch auf einem harten Fahrradgepäckträger von den heutigen Großeltern auf der Fahrt zum Edeka durchgerüttelt wurde, versperrt heute ein tiefergelegter Kinderfahrradanhänger den Weg.
Kinder haben es heute besser, das gilt auch beim Wandern. Und die Kleinsten, die noch nicht auf zwei Beinen stehen, geschweige denn gehen können, haben es zudem höchst bequem. Dafür müssen sich ihre Eltern abrackern, schließlich sind Kinderwagen heute Trendsportgeräte. Mit ihnen kann man Rad fahren, skaten, joggen und wandern, die Reifen werden – wie beim Mountainbike – an der Tankstelle aufgepumpt. Mittels einer einfachen Klicktechnik kann man von der banalen 0815-Buggy-Version auf sportliche sechzehn Zoll wechseln, die Profile der windschnittigen Dreiräder sind mit denen von Offroadern vergleichbar.
Heute jedenfalls kann man den Nachwuchs bergauf stemmen, was ab einer Neigung von fünfzehn Grad komisch aussieht, weil dann der Neigungswinkel des Wanderers gegen dreißig Grad geht. Und natürlich ist auch schon Literatur zum Trendsport »Wandern mit Kinderwagen« auf dem Markt mit Zielen, die jeder kinderlose Bergwanderer meidet, etwa Almen knapp oberhalb des Feriendorfes inklusive Bewirtschaftung – Schlumpf-Kinderteller auf der Speisekarte sind obligatorisch, Spielplatz ebenso. Vorbei also die Zeiten, in denen der Filius auf dem Rücken fest verschnürt dem leidenden Daddy ins Ohr plärren konnte, weil er selbst kaum Luft bekam.
Wer die Kleinsten nicht nach oben stemmen will, kann sie in vielen Ferienorten betreuen lassen. Vorbildlich und bei jungen Eltern weithin bekannt ist die Gemeinde Serfaus in Tirol, die an der Talstation eine »Murmli-Krippe« anbietet, eine Kleinkinderbetreuung inklusive Malwettbewerben, Kasperltheater oder Salzteigbacken. Die Touristen-Destinationen setzen inzwischen fast durch weg auf »Familienurlaube«, auf Urlaub mit Kindern statt ohne.
Doch was tun, wenn die Kurzen größer werden und Bedürfnisse äußern können? Nimmt man sie hart ran oder spaziert man mit ihnen an Bächen entlang zu Picknickstellen, wo man ein hübsches Lagerfeuer machen und Staudämme bauen kann? Unternimmt man mit ihnen Trips auf den Spuren der Ritter im Mittelalter und wandert von Burg zu Burg?
Die Gemeinde Hasliberg im Berner Oberland beispielsweise hat sich einen Zwergenwanderweg ausgedacht, auf welchem Eltern mit ihren Grundschulkindern wandern können mit »Erlebnisposten« samt Moorchnorzen- und Zwergenhäuschen, Seilbahn, Hängebrücke und einem Wildbach. Drei Kilometer ist der Weg lang, kein Wunder, dass selbst Hardcore-Wanderer während der Elternzeit Hüftgold ansetzen.
Grundsätzlich gilt: Was Erwachsene nervt, geht Kindern erst recht auf den Zeiger – lange, monotone Wald- und Güterwege. Dann sich doch lieber auf dem Appenzeller Witzwanderweg amüsieren. Wenn auch dem Sprössling dann wohl eher der eine oder andere kindgerechte Witz in Erinnerung bleibt und nicht die herrliche Landschaft. Als Fünftklässler wanderten meine Eltern mit uns Kindern einmal zur Burg Trifels in der Pfalz. Ich erinnere mich weniger an die beeindruckende Felslandschaft der Umgebung und an die Lust des Gehens als vielmehr an die Gepflogenheiten der Rittersleut und an jenen drastischen Spruch unseres Führers: »Wer morgens sieht den Morgenstern, sieht abends nicht
Weitere Kostenlose Bücher