Die Wanderhure
drehte dieser sich um und hielt sie am Arm fest.
»Marie! Was bin ich froh, dich gefunden zu haben. Als ich dich vorhin am Hafen sah, hätte ich dich beinahe nicht erkannt. Ja, ich wollte meinen Augen kaum trauen, denn ich hätte nie zu hoffen gewagt, dich so schnell wiederzufinden, und das ausgerechnet heute, an einem für mich so wichtigen Tag.«
Marie starrte den Mann fragend an. Für einen Augenblick hatte sie Angst gehabt, er wäre einer der Riedburger Söldner, der von ihrem gestohlenen Geld wusste und es ihr abnehmen wollte. Die wasserhellen Augen drückten jedoch eine andere Gier aus als die nach Gold. Das magere Gesicht mit der scharf geschnittenen Nase und dem dünnlippigen Mund kam ihr bekannt vor, doch ihr wollte nicht einfallen, woher sie diesen Mann kannte. Eine Bewegung seines Kinns und der Laut, den er dabei ausstieß, brachten sie schließlich auf die richtige Spur.
»Jodokus!«
Es war tatsächlich der Schreiber aus Arnstein, der davongelaufene Mönch, der das Testament zerstört haben musste. Er sah jedoch ganz anders aus, als sie ihn in Erinnerung hatte. Eng anliegende dunkelgrüne Strumpfhosen bekleideten seine Beine, wobei sein Gemächt wie das eines Bullen vorsprang. Jodokus musste die bestickte Schamkapsel kräftig ausgestopft haben, denn nach dem, was Marie von Hiltrud gehört hatte, war er von der Natur nicht gerade üppig bedacht worden. Auch sonst machte er nicht den Eindruck eines armen Mannes, denn er trug einen noch recht neu wirkenden, kurzen Mantel aus hellbraunem Wollstoff, der knapp unter dem Gesäß endete und dessen geschlitzte Ärmel bunt unterfüttert waren. Seinen Kopf bedeckte ein runder Hut mit einer roten Feder, unter dem dunkelblonde, angegraute Strähnen hervorlugten. Der Unterschied zwischen dem Bürger, der vor ihr stand, und dem hageren Mönch, den sie in Arnstein kennen gelernt hatte, war so groß, dass Ritter Dietmars Leute wohl achtlos an dem Mann vorbeigegangen wären.
Jodokus zog sie eng an sich, so dass sein übel riechender Atem ihr ins Gesicht blies, und presste seinen Unterleib gegen den ihren. »Du hast mich also nicht vergessen, meine Schöne, ebenso wenig wie ich dich. Wie oft schmerzten meine Lenden, wenn ich an dich dachte. Endlich wird meine Sehnsucht nach dir gestillt werden.«
Der denkt doch nicht etwa, ich würde mit ihm ins Bett gehen?, fragte Marie sich entsetzt. Sie erinnerte sich nur allzu gut daran, wie dieser Kerl Ritter Dietmar und Frau Mechthild betrogen hatte, und wollte ihm schon ihre Verachtung ins Gesicht schleudern. Doch da kam ihr ein Gedanke, der ihr im ersten Augenblick so abwegig erschien, dass sie am liebsten laut herausgelacht hätte.
Jodokus musste ebenfalls zu Rupperts Handlangern gehören, denn wer außer dem Magister und seinem feinen Halbbruder hätte Interesse daran gehabt, das auf Burg Arnstein verwahrte Testament Ritter Otmars vernichten und die Kopie aus dem Kloster St. Ottilien stehlen zu lassen? Wenn sie sich nun bei dem ehemaligen Mönch einschmeichelte und ihn gewähren ließ, kam sie vielleicht auf diesem Weg an ihren Todfeind heran. Sie wehrte Jodokus’ Vertraulichkeiten daher nicht ab, sondern ließ kichernd zu, dass seine Finger ihre Brüste berührten.
»Du weißt gar nicht, wie sehr ich Ritter Dietmar beneidet habe, weil er sich an deiner Schönheit und deinem Körper erfreuen konnte, während ich in meiner Kammer vor Verlangen nach dir fast verging.« Der Mann stöhnte lüstern auf, doch auf seinen Lippen spielte ein hämisches Lächeln, so als denke er an den Tort, den er seinem ehemaligen Herrn angetan hatte.
Das bestärkte Marie in ihrem Vorhaben, Jodokus zu umgarnen und sich ihm hinzugeben, bis sie alles erfahren hatte, was er über Rupperts Umtriebe und seine Helfershelfer wusste, auch wenn es sie allein bei dem Gedanken schüttelte, einen solch unsauberen Kunden an sich heranzulassen, und sie schwor sich, ihn für jedeBerührung zahlen zu lassen, wenn auch weniger mit Geld als mit Informationen.
»Ihr seht so ganz anders aus, als ich Euch in Erinnerung habe, Bruder Jodokus«, antwortete sie mit einem schmelzenden Lächeln, dem man nicht ansah, wie viel Überwindung es sie kostete.
Jodokus hob warnend die Hand und strich ihr über die Wange. »Ich bin kein Mönch mehr und habe diesen Namen mit meiner Kutte abgelegt. Jetzt nenne ich mich Ewald von Marburg und bin, wie ich betonen möchte, ein wohlhabender Mann. Bald werde ich sogar reich sein und kann dir all deine Wünsche erfüllen, seien es
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